Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Horowitz
Vom Netzwerk:
war wegen der Oper da.«
    »Können Sie sich noch an den Monat erinnern?«
    »Es ist im Juni gewesen. Als ich aus meiner Kutsche stieg, hat ein Straßenjunge mich angerempelt. Er war höchstens zwölf oder dreizehn. Zunächst habe ich mir gar nichts dabei gedacht, aber als ich in der Pause nach der Zeit sehen wollte, hab ich gemerkt, dass ich das Opfer eines Taschendiebs geworden war.«
    »Es ist eine hübsche Uhr, die Ihnen sehr viel bedeutet. Haben Sie den Diebstahl bei der Polizei angezeigt?«
    »Ich fürchte, ich verstehe den Sinn Ihrer Fragen nicht ganz, Mr. Holmes. Im Übrigen bin ich einigermaßen überrascht, dass ein Mann von Ihrem Renommee sich die Mühe gemacht hat, den ganzen Weg von London hierher zu kommen, um sie zurückzugeben. Ich vermute, Sie erwarten eine Belohnung?«
    »Nein, keineswegs. Die Uhr ist Bestandteil weiter gehender Ermittlungen, und ich hatte gehofft, Sie könnten mir weiterhelfen.«
    »Tja, ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen. Mehr weiß ich nicht über die Sache. Und den Diebstahl habe ich deshalb nicht angezeigt, weil es in London an jeder Straßenecke so viele Diebe gibt, dass die Polizei sowieso nichts für einen tun kann. Wozu sollte ich also meine Zeit vergeuden? Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie die Uhr zurückgebracht haben, Mr. Holmes, und ich bin gern bereit, Ihre Reisekosten zu übernehmen und Sie für Ihre Zeit zu entschädigen. Aber abgesehen davon kann ich Ihnen nur noch einen guten Tag wünschen.«
    »Nur eine letzte Frage noch, Lord Ravenshaw«, sagte Holmes gleichmütig. »Als wir herkamen, hat jemand das Haus verlassen. Leider haben wir ihn verpasst. Ich frage mich nämlich, ob es nicht ein alter Freund von mir war, Mr. Tobias Finch.«
    »Ein Freund von Ihnen?« Genau wie Holmes erwartet hatte, war Lord Ravenshaw gar nicht glücklich darüber, dass man ihn in Gesellschaft des Kunsthändlers gesehen hatte.
    »Nun, sagen wir: ein Bekannter.«
    »Wenn Sie schon fragen: Ja, es war Finch. Es widerstrebt mir, über Familienangelegenheiten zu reden, Mr. Holmes, aber ich kann Sie gern wissen lassen, dass mein Vater einen miserablen Kunstgeschmack hatte und ich die Absicht habe, mich zumindest eines Teils seiner Sammlungen zu entledigen. Ich habe mit verschiedenen Galerien in London gesprochen, aber Carstairs & Finch erschien mir als die seriöseste.«
    »Und hat Mr. Finch Ihnen gegenüber jemals das House of Silk erwähnt, Lord Ravenshaw?«
    Holmes stellte die Frage, und das nachfolgende Schweigen war so eklatant, dass die kleine Explosion, mit der eins der Scheite im Kamin zersprang, fast wie ein Ausrufezeichen dahinter erschien.
    »Sie sagten, Sie hätten noch eine letzte Frage, Mr. Holmes. Das ist schon die zweite, und ich glaube, ich habe jetzt wirklich genug von Ihrer Unverschämtheit. Muss ich meinen Diener rufen oder gehen Sie freiwillig?«
    »Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Lord Ravenshaw.«
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie meine Uhr zurückgebracht haben, Mr. Holmes.«
    Ich war heilfroh, als wir wieder draußen waren; inmitten all dieses Reichtums und der Insignien einer privilegierten Stellung hatte ich mich wie in der Falle gefühlt. Als wir auf die Einfahrt hinaustraten und langsam zum Tor gingen, kicherte Holmes plötzlich. »Na, da haben wir ein neues Rätsel für Sie, Watson.«
    »Er schien mir ungewöhnlich feindselig, Holmes.«
    »Ich meine den Diebstahl der Uhr. Wenn sie im Juni gestohlen wurde, kann Ross nicht dafür verantwortlich gewesen sein, denn da war er ja noch in der Chorley Grange School, wie wir wissen. Nach Angaben von Johnson ist die Uhr erst vor kurzem versetzt worden, im Oktober. Also, was ist in der Zwischenzeit damit geschehen? Wenn Ross sie gestohlen hat, warum hat er sie dann vier Monate lang behalten?«
    Wir hatten das Tor fast erreicht, als ein schwarzer Vogel über uns hinwegflog, kein Rabe, sondern eine Krähe. Ich folgte ihr mit den Augen, und dabei drehte ich mich am Ende vollkommen um und schaute aufs Haus zurück. Zu meiner Überraschung sah ich an einem der Fenster Lord Ravenshaw stehen.Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt, und seine großen, vorquellenden Augen starrten uns nach. Und obwohl wir schon ziemlich weit weg waren, hatte ich das Gefühl, dass sein Gesicht voller Hass war.

9

Die Warnung
    »Es hilft nichts«, sagte Holmes mit einem ärgerlichen Seufzer. »Wir werden wohl Mycroft bemühen müssen.«
    Ich hatte Mycroft Holmes kennengelernt, als er wegen eines Nachbarn, eines

Weitere Kostenlose Bücher