Das Geheimnis des weißen Bandes
wäre. Trotzdem brach meine Stimme, als ich ihn ansprach: »Holmes! Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Die Ungerechtigkeit Ihrer Verhaftung, die Art und Weise, wie man Sie behandelt hat … das ist alles jenseits jeglicher Vorstellung.«
»Es ist zumindest sehr interessant«, entgegnete er. »Wie geht es Ihnen, Lestrade? Eine eigentümliche Wendung der Dinge, finden Sie nicht? Was halten Sie von der Sache?«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll, Mr. Holmes«, murmelte Lestrade verlegen.
»Nun, das ist ja nichts Neues. Wie es scheint, hat unser Freund Henderson uns ganz schön in die Irre geführt, stimmt’s, Watson? Nun ja, wir sollten nicht vergessen, dass ich so etwas erwartet habe, und er war ja letzten Endes ganz nützlich für uns. Bis zu den jüngsten Ereignissen hatte ich nur den Verdacht, dass wir einer Verschwörung auf der Spur sind, bei der es um sehr viel mehr geht als nur einen Mord in einem Hotelzimmer. Aber jetzt bin ich mir dessen ganz sicher.«
»Aber was nutzt uns das, wenn Sie eingesperrt werden und Ihre Reputation ruiniert ist?«, erwiderte ich.
»Ich denke, meine Reputation kann sehen, wo sie bleibt!«, sagte Holmes. »Wenn sie mich hängen, dann verlasse ich mich darauf, dass Sie Ihren Lesern schon klarmachen werden, dass alles ein Missverständnis gewesen ist.«
»Sie können gern Ihre Späße machen, Mr. Holmes«, knurrte Lestrade. »Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir sehr wenig Zeit haben. Und die Beweise gegen Sie erscheinen wirklich erdrückend.«
»Was halten Sie von den Zeugenaussagen, Watson?«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Holmes. Diese Männer scheinen sich nicht zu kennen. Sie kommen aus verschiedenen Teilen des Landes. Und doch sind sie sich völlig einig darüber, was geschehen ist, letzte Nacht.«
»Aber Sie werden doch hoffentlich eher mir glauben als unserem Freund, Mr. Creer?«
»Ja, natürlich.«
»Dann lassen Sie mich eindeutig klarstellen, dass ich Inspektor Harriman genau das erzählt habe, was wirklich passiert ist. Nachdem ich die Opiumhöhle betreten hatte, ist Creer auf mich zugekommen und hat mich als neuen Kunden begrüßt.Was heißen soll, dass er ebenso freundlich wie misstrauisch war. Vier Männer lagen halb bewusstlos auf den Matratzen – oder taten zumindest so, als ob sie betäubt wären. Einer von ihnen war tatsächlich Lord Horace Blackwater, obwohl ich das da noch nicht wusste. Ich tat so, als wollte ich eine Fourpenny-Dosis, und Creer bestand darauf, dass ich mit ins Büro kam, um dort zu bezahlen. Um keinen Verdacht zu erregen, gab ich nach. Aber kaum war ich durch die Tür getreten, da sprangen zwei Männer mich an. Sie packten mich am Hals und umklammerten meine Arme. Einen von ihnen kennen wir, Watson. Das war Henderson. Der andere hatte einen rasierten Schädel und Schultern und Unterarme wie ein Berufsringer. Seine Kräfte waren entsprechend. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. ›Das war sehr unklug, Mr. Holmes, dass Sie sich in Dinge eingemischt haben, die Sie nichts angehen. Und es war noch dümmer, dass Sie geglaubt haben, Sie könnten sich mit Leuten anlegen, die weitaus mächtiger sind als Sie selbst‹, sagte Henderson – oder etwas Ähnliches. Gleichzeitig kam Creer auf mich zu und flößte mir aus einem kleinen Glas eine klare, unangenehm riechende Flüssigkeit ein. Es muss irgendein Opiat gewesen sein, aber ich konnte mich nicht wehren, als sie mir das Glas zwischen die Zähne gedrückt haben. Sie waren zu dritt, und ich war allein. Meine Waffe konnte ich nicht erreichen. Die Wirkung der Droge setzte fast augenblicklich ein. Der Raum fing an, sich zu drehen, und meine Beine versagten den Dienst. Sie haben mich losgelassen, und ich fiel auf den Boden.«
»Diese Teufel!«, rief ich.
»Und dann?«, fragte Lestrade.
»An mehr kann ich mich nicht erinnern«, sagte Holmes. »Als ich wieder zu Bewusstsein kam, war Watson schon bei mir. Die Droge muss extrem stark gewesen sein.«
»Das ist alles schön und gut, Mr. Holmes. Aber wie erklärenSie die Aussagen, die wir von Dr. Ackland, von Lord Blackwater und meinem Kollegen Harriman gehört haben?«
»Sie arbeiten zusammen.«
»Aber warum? Das sind doch keine gewöhnlichen Leute.«
»In der Tat nicht. Wenn es gewöhnliche Leute wären, würde ich ihnen viel eher glauben. Aber kommt es Ihnen nicht merkwürdig vor, dass gleich drei solche Ausnahmemenschen genau zur gleichen Zeit aus der Dunkelheit kamen?«
»Es klang ziemlich plausibel, was sie
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