Das Geheimnis meiner Mutter
„Rourke McKnight“ und „Versprechen“ waren eine ganz schlechte Kombination. „Du hast gesagt, dass du mir irgendwann erzählen wirst, wie du dir dein weiteres Leben vorstellst“, sagte sie. „Ich persönlich finde allerdings, dass es nicht gut ist, Pläne zu machen.“ Sie hielt kurz inne, dann fasste sie den Mut, es auszusprechen. Das Thema schwebte unausgesprochen zwischen ihnen in der Luft, seitdem er sie mit zu sich nach Hause genommen hatte. Also konnte sie es genauso gut angehen. „Sieh nur mich und Joey an – die besten Pläne können innerhalb eines einzigen Augenblicks zerstört werden.“
Sie wartete auf seine Reaktion. Wartete, dass er sagen würde, was geschehen war, wäre nur ein Beweis dafür, dass Lügen und Verrat die Unschuldigen zerstörten. Sie wusste, dass sie beide so dachten.
Doch Rourkes einzige Reaktion war, dass er die Heizung anstellte, die ihr warme Luft entgegenblies.
10. KAPITEL
A m Samstagmorgen gingen Jenny und Rourke gemeinsam zur Sky River Bakery. Sie hatte noch ein paar Dinge im Büro zu erledigen, und er hatte die Schicht eines kranken Kollegen übernommen. Als sie die Bäckerei betraten, ertönte die kleine Glocke über der Tür, und die warmen Gerüche aus der Backstube umfingen sie.
Mariel Elena Gale, das Mädchen hinter dem Tresen, begrüßte sie mit einem Lächeln. Sie war die jüngste Angestellte der Bäckerei und hatte sowohl einen verrückten Sinn für Humor als auch eine ausgeprägte Unabhängigkeit. Sie war verantwortlich für so leckere Innovationen wie Kekse in Form von Elchköpfen und Schokoküchlein, die mit Krokussen aus Zuckerguss verziert waren. Neben dem Kuchen des Tages hatte sie ein Schild aufgestellt, auf dem stand: „Ich bin die Erfüllung all deiner Träume“.
„Hallo Jenny, Chief McKnight.“ Mariel schien überhaupt nicht überrascht, die beiden zusammen zu sehen. „Das Übliche?“
„Ja, gerne.“
Jenny goss Kaffee in zwei dicke Porzellantassen. „Jetzt, wo ich von deinen Künsten als Kaffeekocher weiß, bin ich ein bisschen argwöhnisch, was deine regelmäßigen Besuche hier angeht.“
„Ich bin nie wegen des Kaffees hergekommen“, sagte er. „Ich nahm an, das war allgemein bekannt.“
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, also konzentrierte sie sich darauf, die Kuchen und Torten in den Auslagen noch einmal genau auszurichten. Mit Rourke zusammen zu sein beeinflusste sie auf so viele unerwartete Weisen. Dinge, über die sie sich seit Jahren nicht erlaubt hatte nachzudenken, blubberten auf einmal an die Oberfläche, und zu ihrer Überraschung hatten die Erinnerungen nichts von ihrer Schärfe verloren. Außerdem machte sie sich Sorgen, dass sie kurz davor stand, sich auf etwas einzulassen, das man bestenfalls nur als töricht bezeichnen konnte – und schlimmstenfalls als gefährlich. Sie musste irgendetwas anders machen, aber Unbeweglichkeit und Unentschlossenheit schienen sie zu lähmen.
Als Jenny am Tresen stand, sah sie, wie eine Frau eine Serviette direkt neben Rourkes Tisch fallen ließ und sich dann bückte, um sie aufzuheben. Was normalerweise keine große Sache gewesen wäre, hätte die Frau nicht eine hautenge pinkfarbene Skihose und einen noch engeren weißen Angorapullover getragen und aus ihrem Interesse an dem attraktiven Fremden keinen Hehl gemacht. Jenny konnte nicht hören, was sie miteinander sprachen, aber offensichtlich fand die Frau Rourke höchst amüsant. Diesen Effekt hatte er schon immer auf Frauen gehabt, sogar als Kind. Er musste nicht mal etwas sagen. Er hatte irgendetwas an sich, und zwar nicht nur das Aussehen eines Filmstars. Ob gewollt oder nicht, er hatte eine erotische Ausstrahlung, die Nächte voll endlosem Vergnügen versprach. Zumindest kam es Jenny so vor, als sie widerwillig zugab, dass sie und das Skihaserl den gleichen Männergeschmack hatten.
Zum Glück trat in diesem Moment Mariel mit zwei Tellern an den Tisch und unterbrach den kleinen Flirt. Die Blicke der Skifahrerin verweilten noch einen Augenblick, dann gesellte sie sich zu ihren Freunden, die sich zum Aufbruch bereit machten.
Rourkes „Übliches“ war ein lauwarmes Teilchen aus Käsekuchenteig mit Honig-Orangen-Glasur. Er hatte bereits mit dem Essen angefangen, als Jenny sich zu ihm an den Tisch setzte.
„Sorry“, sagte er mit vollem Mund. „Ich konnte nicht warten. Das hier ist fast so gut wie Sex.“
Sie schaute in die Richtung des magentafarbenen Skihasen. „Ich schätze, das hängt sehr vom Sex ab. Und jetzt
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