Das Geheimnis meiner Mutter
Angestellte wetteiferten in verschiedenen Disziplinen miteinander, wobei sie von den Campbewohnern lautstark angefeuert wurden. Rourke hatte sich für Tennis entschieden und gewann locker alle Vorrunden. Im Finale musste er sich Joey stellen. Super, dachte er, einfach super. Er würde mit seinem besten Freund um den Titel kämpfen. Schlimmer noch, Jenny war gekommen, um zuzusehen. Er konnte sie zusammen mit Nina auf der Tribüne sitzen sehen. Jenny trug einen Hut mit breiter Krempe und hatte ein Glas Limonade in der Hand. Sogar aus dieser Entfernung konnte er ihr Lachen hören.
Mit seinem ersten Aufschlag wusste er, was das hier werden würde – eine Bestrafung. Jeder Schlag war gemacht, Joey zu bestrafen, was dumm war, weil Joey doch sein bester Freund war. Außerdem war er ein guter Spieler und hatte gemeinsam mit Rourke Unterricht genommen, als sie noch jünger gewesen waren. Aber Joey hatte das Mädchen, und Rourke hatte nichts außer seiner Wut und seinem kraftvollen Spiel, das er ohne Zögern einsetzte. Es war ein Match um alles oder nichts. Er scheuchte Joey auf dem Platz herum, bis er den Schweiß über das Gesicht und den Körper seines Freundes laufen sah. Er schlug ihn zwei Sätze in Folge, lockte ihn ans Netz, nur um ihm dann einen Lob zu servieren. Am Ende schüttelten sie sich am Netz die Hände, aber Rourke sah Joey nicht einmal an.
Rourke nahm die Trophäe in Empfang – einen versilberten Pokal. Aber während er sie stolz in die Höhe hielt, ging Joey mit dem Mädchen weg. Zu Rourkes Überraschung kam Philip Bellamy zu ihm, um ihm zu gratulieren. Er war der älteste Sohn der Campbesitzer und ein Freund von Rourkes Eltern, was Rourke sofort misstrauisch machte.
„Ich habe den Titel selber mal geholt“, sagte Mr Bellamy. „Damals, 1977.“
„Das ist eine Ehre, Sir“, sagte Rourke.
Mr Bellamy sah zu Joey hinüber, der mit Jenny zusammen im Schatten stand. Sie hatte ihren Sonnenhut abgenommen. Joey trug ein Handtuch um den Hals und sprach mit ernster Miene auf sie ein. „Wer ist das?“, wollte Mr Bellamy wissen. „Das Mädchen da bei deinem Gegner?“
Rourke zuckte mit den Schultern, als wenn es ihn nicht interessierte. „Irgendein Mädchen. Sie heißt, glaub ich, Jenny. Warum fragen Sie?“
„Sie erinnerte mich an jemanden, das ist alles. Jemanden, den ich mal gekannt habe.“ Philip schaute ihn wieder an. „Jemand, den ich mal so angesehen habe, wie du sie jetzt ansiehst.“
„Ich bin nicht …“
„Natürlich nicht“, beschwichtigte Mr Bellamy. „Ich habe einmal den Fehler gemacht, ein Mädchen kampflos gehen zu lassen. Das ist etwas, was ich bis zum heutigen Tage bereue.“
Auch wenn er es nicht zugeben mochte, nicht mal vor sich selbst, ging ihm der Vorschlag nicht aus dem Kopf. Sag es ihr , flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Sag ihr einfach die Wahrheit, denn die Wahrheit hat noch niemals wehgetan. Sag es ihr, bevor es zu spät ist.
Am Ende des Sommers reiste Joey zum Phase-1-Kurs der Rangerausbildung nach Fort Benning, Georgia. Er konnte nicht mal bis zur Schlussfeier vom Camp Kioga bleiben. Jenny wusste, dass es mindestens acht Wochen, vielleicht sogar länger dauern würde, bis sie ihn wiedersah. Er hatte sie von der Telefonzelle im Camp aus angerufen, um sie wissen zu lassen, dass er sie etwas fragen und ihr etwas erzählen musste. Sie nahm an, dass sie wusste, was es war. Was ihr nicht klar war, waren ihre diesbezüglichen Gefühle. Als er vorbeikam, um sich zu verabschieden, war sie ungewohnt nervös.
„Ich bringe dich noch zum Bahnhof.“ Sie hatte bereits an der Hintertür der Bäckerei auf ihn gewartet.
Er schulterte seinen Seesack und schlang den freien Arm um ihre Taille, als sie losgingen. Den Sommer über hatte Joey seine dichten schwarzen Haare wachsen lassen, aber sein Körper war immer noch der eines Soldaten – fit und muskulös.
„Ich kann dich mir immer noch nicht als Nahkämpfer vorstellen“, sagte sie.
„Das sagt mein Dad auch.“
„Du bist zu … friedfertig, finde ich. Zu nett.“
„Deshalb hat mich mein erster Einsatz wohl auch nur in den Innendienst nach D. C. geführt. Dieses Mal bin ich aber bereit für etwas anderes“, sagte er. „Ein wenig Action.“
„Ich kann nicht glauben, dass sie dir beibringen werden, wie man Menschen tötet.“
„Sie werden mir eine ganze Menge Dinge beibringen. Zum Beispiel zu überleben und meinem Land zu dienen.“
Sofort bereute sie, etwas gesagt zu haben. Er tat das alles für seine
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