Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
imponieren können; er war schon fast fünf Jahre tot. Oder vielleicht war die Sehnsucht irgendwie doch noch da, obwohl Vanessa wusste, wie nutzlos das war angesichts der Tatsache, dass er schon lange nicht mehr lebte. Nutzlos auch aus anderen Gründen, musste sie sich eingestehen, aber das kleine Mädchen in ihr tauchte trotzdem hin und wieder auf. »Sieh mal, was ich getan habe, Papa!« Aber bisher war es ihr immer noch gelungen, diese Gedanken schnell zum Schweigen zu bringen.
Um ihnen auch jetzt eine andere Richtung zu geben, kuschelte sie sich noch fester an Graeme. »Erzähl mir von deiner Familie«, bat sie ihn. »Von deiner Kindheit in England und in Schottland. In beiden Ländern aufzuwachsen, muss doch sehr interessant gewesen sein.«
Er schwieg so lange, dass sie schon befürchtete, er sei eingeschlafen. »Als interessant würde ich es nicht gerade bezeichnen«, sagte er mit einem Anflug von Ärger in der Stimme und schwieg wieder eine ganze Weile, bevor fortfuhr. »Bis ich fast dreizehn war, habe ich ausschließlich in Schottland bei meiner Mutter gelebt.«
»Und dann bist du nach London gegangen. Warum?«, fragte Vanessa.
»Weil mein Vater mich dorthin geholt hat. Wahrscheinlich hatte er endlich eingesehen, dass ich sein Erbe war und dass die Zeit nichts daran ändern würde. Deshalb zwang er mich, mit ihm in London zu leben, damit ich lernen konnte, mich wie ein Gentleman zu benehmen, und um ›diesen widerlichen Torfgeruch‹ loszuwerden, der mir anhaftete, wie er behauptete.«
»Aber deine Mutter und Dougal beschlossen hierzubleiben?«, warf Vanessa ein.
»Dougal war noch nicht geboren. Ich vermute, dass er gezeugt wurde, als mein Vater nach Norden kam, um mich zu holen.« Graemes Lachen war so kalt, dass Vanessa ein Frösteln überlief. »Ich weiß nicht, warum mir das nie aufgefallen ist.«
»Aber du kamst hin und wieder her, um deine Mutter und Dougal zu besuchen?«
»Ja, jeden Sommer gestattete der Herzog mir, für zwei Monate zurückzukehren.«
Vanessa stützte sich auf einen Ellbogen, um Graeme ansehen zu können. »Das klingt nicht danach, als hättest du deinen Vater sehr gemocht.«
»Mein Vater war ein verdammter Schuft, der für niemanden in seinem Leben etwas übrig hatte, außer für sich selbst.« Graeme presste die Lippen zusammen und sagte nichts mehr.
»Aber deine Mutter liebte ihn, also kann er so schlecht nicht gewesen sein«, gab Vanessa zu bedenken.
»Meine Mutter war jung, als sie sich kennenlernten, jung und dumm. Aber sie erkannte seine Fehler recht schnell. Da eine Scheidung jedoch nicht infrage kam, floh sie nach Schottland und lebte dort getrennt von ihrem Mann.«
Vanessa runzelte die Stirn, als sie an ihr langes Gespräch mit Moira dachte, nachdem sie ihr den Ring gegeben hatte. »Deine Mutter erzählt die Geschichte aber anders, Graeme.«
»Was redest du da?«
»Moira erzählte mir alles über die Werbung deines Vaters und die stürmische Beziehung, die sie danach hatten. Sie bedauert vieles, aber etwas, was sie nicht bereut, ist ihre Liebe zu deinem Vater«, sagte Vanessa.
»Dann ist sie nicht klüger als zuvor«, erwiderte Graeme leise.
»Vielleicht hast du ihre Beziehung nur missverstanden«, wandte Vanessa ein.
»Was meinst du damit?«
»Nur, dass dein Vater deine Mutter nicht verlassen hat. Er wollte, dass sie mit ihm in England lebte, aber das wollte sie nicht. Sie sagte, sie sei auf irgendeiner unwichtigen Gesellschaft in eine peinliche Situation geraten, habe daraufhin ihre Sachen gepackt und sei mit dir nach Schottland abgereist. Dein Vater kam her, um euch beide zurückzuholen, aber sie weigerte sich, weil sie nicht in seine Welt zu passen glaubte. Sie wollte sich mit ihm versöhnen und nach England zurückkehren, aber irgendwie hat sie sich dann doch nie dazu durchringen können.
Als er das nächste Mal kam, um dich zu holen, war es zu spät. Sie hat nie Gelegenheit gehabt, sich persönlich zu entschuldigen, aber sie schrieb ihm einen Brief, bevor er starb.«
»Das erklärt nicht, warum er mich so schlecht behandelt hat«, sagte Graeme.
»Nein, das tut es nicht. Aber verletzt zu werden, kann einen dazu bringen, schlimme Dinge zu tun.« Bewies dies alles nicht, wie schädlich Liebe sein konnte? Vanessa wollte sichergehen, sich vor solchem Schmerz zu schützen. »Im Moment führen wir eine wunderbare Ehe, voller Leidenschaft und Abenteuer. Aber wenn Emotionen ins Spiel kämen, würde vielleicht alles in die Binsen gehen.«
Graeme erhob sich
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