Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
Weile schwieg er versonnen, dann nickte er langsam. »Wissen Sie, früher durfte ich ihm bei seinen Forschungen helfen, aber heute nicht mehr.« Dougal schüttelte den Kopf. »Nicht, seit sie hier ist.«
Wieder schwieg der Junge kurz, bevor er fragte: »Glauben Sie wirklich, dass Graeme jetzt, wo er verheiratet ist, nicht mehr nach Schottland zurückkehren wird?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Dazu werden sie viel zu beschäftigt sein in London. Englische Herzöge sind sehr bedeutend, und er hat seine Pflichten dem Parlament gegenüber zu erfüllen. Und nun, da seine Frau eine Herzogin ist, wird sie viele Gesellschaften geben und besuchen und zahlreiche andere Aufgaben zu erfüllen haben. Ganz zu schweigen von den Kindern, die sie haben werden. Schottland ist …« Seine Worte gingen in ein mitfühlendes Schweigen über.
»Schmutzig«, ergänzte Dougal mit zusammengebissenen Zähnen, als brodelten seine Ressentiments schon dicht unter der Oberfläche.
Der Rabe zuckte mit den Schultern. »So unfreundlich würde ich es nicht ausdrücken. Aber es ist ein raueres Pflaster als London. Kein Ort für feine Damen. Und dass er sie in London lässt und allein hierherkommt, halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Deshalb wird dies vermutlich sein letzter Besuch hier sein.«
Der Rabe konnte kaum ein zufriedenes Lächeln unterdrücken. Ressentiments konnte er benutzen, denn Missgunst und Verbitterung waren ihm so vertraut wie alte Freunde.
»Weißt du, ich bin auch ein zweitgeborener Sohn«, gestand er Dougal. »Mein älterer Bruder war der rechtmäßige Erbe und wusste diesen Umstand nie zu würdigen. Ihm wurden alle Möglichkeiten geboten, doch statt sie zu ergreifen, vertrödelte er sein Leben und gab sich damit zufrieden, am Rockzipfel seiner Frau zu hängen.« Der Rabe trank einen Schluck von seinem Tee. »Aber natürlich bin ich mir sicher, dass dein Bruder völlig anders ist.«
Dougal gab nur einen unverbindlichen Laut von sich, und so fuhr der Rabe fort: »Zweitgeborene Söhne haben es nicht leicht. Wir bekommen nichts; uns wird nichts geschenkt. Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen, müssen arbeiten und uns nach der Decke strecken für die Dinge, die wir haben wollen. Und manchmal müssen wir harte Entscheidungen treffen und Opfer bringen für das übergeordnete Wohl.«
Dougal nickte und schwieg einen Moment, bevor er gestand: »Ich wünschte, er hätte sie nicht geheiratet.«
»Ja. Aber was kannst du schon dagegen tun? Außer …« Der Rabe stockte und schüttelte dann den Kopf. »Nein.«
»Was?«
»Außer, sie wären nicht mehr verheiratet. Aber du kannst sie ja wohl nicht umbringen, was?«, schloss er mit einem ungezwungenen Lachen, um dem Jungen zwar den Gedanken in den Kopf zu setzen, ihn aber nicht merken zu lassen, wie ernst es ihm gemeint war.
Für eine Weile schwieg Dougal, dem offenbar ein Gedanke nach dem anderen durch den Kopf schoss. Der Rabe beobachtete den Jungen scharf. Er konnte nicht riskieren, zu viel zu sagen und den Jungen derart zu schockieren, dass er damit gleich zu Graeme lief. Das Letzte, was der Rabe jetzt gebrauchen konnte, war, dass die Männer von Solomon’s über Schottland hereinbrachen und sich auf die Suche nach ihm machten.
Am darauffolgenden Nachmittag traf Graeme Vanessa im Arbeitszimmer an, wo sie in die Notizen vertieft war, die Jensen ihm gegeben hatte. Offensichtlich bereute sie nicht, dass sie neulich nachts hier eingedrungen war. Sie blickte kurz auf, um sich dann wieder ihrer Lektüre zuzuwenden, aber zumindest tat sie es diesmal, ohne es vor ihm zu verbergen.
»Was hast du ihm gesagt?«, fragte sie.
Graeme ging durch das Zimmer zu dem Lesetisch, an dem sie saß, und lehnte sich dagegen. »Wem?«
Sie blickte lächelnd auf. »Na, deinem Cousin«, sagte sie. »Ich nahm an, du wärst zu Niall gegangen, um ihn wegen seines leichtsinnigen Verhaltens zur Rede zu stellen.«
»Ach ja?« Graeme spürte, wie seine Augenbrauen vor Überraschung in die Höhe fuhren.
»Es schien mir ein logischer Schluss zu sein.« Vanessa zuckte mit den Schultern. »Konntest du ihm klarmachen, dass er sich wie ein Narr benimmt?«
»Ich glaube nicht.«
»Nun, dann können wir nur hoffen, dass er in Zukunft vorsichtiger sein wird. Er könnte unzählige Fossilien mit seinen willkürlichen Sprengungen zerstören.«
»Oder jemanden umbringen.« Graeme wartete einen Moment, während sie über seine Worte nachdachte, und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf die
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