Das Geheimnis unserer Herzen: Roman (German Edition)
Nach einer Weile nickte er, ließ die Schultern hängen und legte den Rest des Kuchens auf den Teller.
»Höchstwahrscheinlich wirst du Graeme jetzt nicht mehr so oft sehen«, fuhr der Rabe fort. »Oder vielleicht laden sie dich ja auch in ihr Haus nach London ein.« Diese letzte Bemerkung stellte er in den Raum, um zu sehen, was für eine Art Beziehung die Brüder hatten. Er selbst hatte sich mit seinem Bruder nie besonders gut verstanden. Dieser Idiot hatte nie zu schätzen gewusst, was ihm in die Wiege gelegt worden war, aber er war auch nie bereit gewesen, seinen Platz zu räumen und ihn dem Raben zu überlassen.
»O nein«, sagte Dougal kopfschüttelnd. »Graeme hat mich noch nie nach London eingeladen.«
Der Rabe schnalzte mitfühlend mit der Zunge. »Noch nie?«, fragte er und tat schockiert. »Aber ist es nicht auch dein Familiensitz?«
»Noch nie!« Dougal spie die Worte förmlich aus.
Der Rabe nickte. »Wie ich mir schon dachte. Er schätzt dich einfach nicht. Oder was er an dir hat.« Er legte seine Zigarre in den Aschenbecher und beugte sich zu dem Jungen vor. Das hier würde spielend leicht werden. Aus eigener Anschauung wusste er nur zu gut, wie es sich anfühlte, der Bruder zu sein, der zuerst hätte geboren werden sollen. Der Bruder, der es verdiente, der Erbe zu sein, stattdessen aber zu einem Leben verurteilt war, das kaum besser war als das eines Bauern.
»Du und deine Mutter, ihr lebt hier in einem bescheidenen Häuschen, doch verglichen mit dem Reichtum und Wohlstand von Graemes Besitzungen in England …« Er beendete den Satz nicht, sondern schüttelte wieder den Kopf. »Ein Jammer.«
»Was?« Dougal schob seinen Sessel näher heran. »Was ist ein Jammer?«
»Dass du nicht den Platz mit ihm tauschen kannst. Du wärst ein viel besserer Herzog. Viel ehrenhafter und des Titels würdiger, ein Mann, der sich vollkommen im Klaren darüber wäre, was er hat. Du würdest dich um die Verpflichtungen, Verantwortungen und den Respekt bemühen, der mit einer solchen Abstammung einhergeht.«
Dougals Augen wurden schmal. »Ich habe unsere englischen Besitzungen noch nie gesehen«, gab er zu.
»Noch nie?«, fragte der Rabe in gespielter Überraschung.
Dougal schüttelte den Kopf. »Nein, Graeme hielt es für das Beste, dass ich hier in Schottland blieb. Er sagte, England sei voll von voreingenommenen Aristokraten, die wegen meiner schottischen Herkunft auf mich herabsehen würden.«
»Lügen, alles Lügen! Du würdest problemlos akzeptiert werden. Und könntest die feinsten Kleider tragen.« Er streckte seinen Arm aus. »Fühl nur, wie fein der Stoff ist.« Dougal berührte den Ärmel mit zwei Fingern. »Fühlst du den Unterschied, die Erlesenheit der Seide? Das ist die Art von Kleidung, die du dir kaufen würdest. Und schwere, warme Mäntel, damit du nie wieder frieren müsstest.«
Der Rabe sah den Ausdruck des Jungen weicher werden. Der Ärger verschwand, und anstelle der harten Linien trat ein wehmütiger Blick in seine Augen. »Dann hättest du eine ganze Flotte eigener Kutschen und Fahrer, die dich hinfahren würden, wohin du willst«, fuhr der Rabe fort. »Ganz zu schweigen von einer Schar von Dienstboten, die nur darauf warten, dass du ihnen Befehle gibst.«
Dougals Augen glänzten verträumt. »Und wie ist London? Kann man dort viel unternehmen?«
»Mehr, als ein Mensch allein imstande ist. Es finden jeden Abend verschwenderische Feste statt, mit den vorzüglichsten Delikatessen und den feinsten Weinen. Du würdest nie genug davon bekommen«, sagte der Rabe. »Und natürlich könntest du auch so viele schöne Frauen haben, wie es dir beliebt.«
Dougal ließ die Schultern hängen und senkte den Blick auf seine Hände. Er kratzte an dem Schmutz unter seinen Fingernägeln und faltete die Hände dann auf seinem Schoß, um sie vor dem Raben zu verbergen.
»All das könnte dir gehören, aber der Besitzer von alldem ist dein Bruder«, bemerkte der Rabe.
»Und er weiß es nicht zu schätzen. Will das alles nicht einmal«, sagte Dougal nun wieder mit einem Anflug von Ärger in der Stimme.
»Das stimmt.« Der Rabe zündete sich eine weitere Zigarre an. »Aber dein Bruder müsste sterben, damit du alles erben kannst, und du bekämst es auch nur dann, wenn er mit seiner Frau nicht vorher einen Erben zeugt.« Er bot Dougal eine Zigarre an, die der Junge freudig annahm.
Dougal inhalierte den Rauch seiner Zigarre und hustete ein paarmal, bevor er es schaffte, sie zu paffen wie der Rabe. Eine
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