Das Geheimnis von Compton Lodge
rechten Stellen gelangt.«
»Ich habe Sie beobachtet. Das mit dem Fluch ⦠das haben Sie Jeffries in den Mund gelegt, oder? Was steckt wirklich dahinter?«
Er blickte kurz zu mir herüber, schwieg aber.
»Holmes, heraus mit der Sprache!«
»Es ist doch keine groÃe Sache, ein Gerücht in die Welt zu setzen. Ich wusste davon und wollte wissen, wie Jeffries darauf reagiert. Er wollte glaubhaft wirken, hat sich zu sehr hineingesteigert und dabei ein wenig zu viel verraten. Man will auf diese Weise erreichen, dass Compton Lodge unter allen Umständen gemieden wird. Und was gibt es bei der gläubigen Landbevölkerung Besseres, als von einem Fluch zu sprechen?«
»Und was gedenken wir dort zu finden?«
»Antworten. Den Revolver tragen Sie noch bei sich?«, versuchte er mit seiner Gegenfrage abzulenken. Ich bejahte.
»Gut. Jeffries ist im Ãbrigen ein treuer Diener, ein Befehlsempfänger. Und das schon seit Jahrzehnten. Behalten Sie das in Erinnerung, werter Freund. Sagt Ihnen Pyrrhocorax pyrrhocorax wirklich nichts?«
»Bis auf die Tatsache, dass es die Bezeichnung für eine Alpenkrähe ist, nichts.«
Holmes nahm eine Zigarette aus seinem silbernen Etui.
»Es handelt sich um einen schwarzen Vogel mit rotem Schnabel. Und der Kopf sitzt, ganz nebenbei bemerkt, auf einem kurzen kräftigen Hals«, dabei sah er mich vielsagend an und lächelte verschmitzt. »Noch einmal: Sir Edward hatte nie die Absicht gehabt, das Erbe an einen seiner Enkel abzutreten. Und selbst Ihnen müsste aufgefallen sein, wie gut sein Sekretär Jeffries über die Vorgänge informiert ist. Es scheint doch offensichtlich, dass von Anfang an die Absicht bestand, der Anglikanischen Kirche den Besitz zukommen zu lassen. Was also war der tiefere Sinn der Inszenierung an jenem Wochenende? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ein persönlicher Rachefeldzug Ihres GroÃvaters gegenüber seiner Verwandtschaft, oder sie diente einem völlig anderen Zweck.«
»Ein persönlicher Rachefeldzug wäre für mich eher nachvollziehbar.«
»Nein, Watson. Es ging um etwas GröÃeres. Ich hatte Ihnen doch angedeutet, dass vor diesem Treffen auf Compton Lodge etwas geschehen sein musste. Immerhin haben wir eine Art Wegweiser.«
»Die beiden Bilder?«, vermutete ich.
»Exakt. Das Bild in der St. Martinâs Church verweist ohne Zweifel auf Compton Lodge. Das wissen wir schon.«
»Und das Bild in Compton Lodge birgt das eigentliche Geheimnis?«, führte ich seinen Gedanken weiter.
»Zum Teil. Wir müssen das Bild entschlüsseln und dann gibt es noch diesen antiken Spiegel. Vorausgesetzt, wir sind schnell genug.«
X. Der verlassene Garten
Das gleichmäÃige Rattern der Räder auf den Schienen machte mich schläfrig. Als ich aufwachte, fuhr der Zug bereits in den Bahnhof von Canterbury ein. Wir bestiegen eilig den Einspänner. Entgegen meiner Erwartung fuhren wir jedoch nicht direkt nach Compton Lodge. Holmes steuerte die Kutsche durch das altehrwürdige Städtchen, bis er zu meiner Ãberraschung vor dem Liegenschaftsamt hielt. Hier stiegen wir aus, betraten das stattliche Gebäude und wurden, nachdem Holmes kurz Rücksprache mit einer älteren Dame an der Information gehalten hatte, in den ersten Stock geschickt.
»Ich möchte Sie nicht in Ihrem Tatendrang unterbrechen, nur wieso sind wir nicht nach Compton Lodge gefahren, sondern hierher?«, wollte ich von meinem Begleiter wissen.
Er seufzte und klärte mich darüber auf, dass es dringend notwendig sei, sich über die Besitzverhältnisse zweier Objekte zu informieren.
»Nur um zu überprüfen, ob die gemachten Angaben auch tatsächlich stimmen. Ich kann Ihnen sagen, dass der Fall auch deswegen so kompliziert ist, weil offenkundig mehrere Wahrheiten nebeneinander existieren.«
»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Holmes.«
»Es gibt faktische, empfundene und sogar phantasierte Wahrheiten in diesem Fall.«
Ich musste ihn in einer Weise angesehen haben, dass er abwehrend die Hand hob und mir andeutete, ihn seine Bemerkung erläutern zu lassen.
»Wissen Sie, wenn jemand überzeugt ist von dem, was er als wahr annimmt, dann ist das im weiteren Sinne eine Wahrheit, aber diese kann von der faktischen meilenweit abweichen. Und wenn jemand etwas Einschneidendes erlebt hat, auch wenn dies objektiv nicht nachprüfbar ist, so stellt
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