Das Geheimnis von Compton Lodge
der sich etwas erholt zu haben schien, wechselten mit ihm ein paar Worte und verlieÃen das Haus. Der Wind hatte die Wolkendecke aufgerissen und ein paar Sonnenstrahlen hellten den winterlichen Morgen merklich auf. DrauÃen berichtete ich Holmes von Kingslays Tat, die ich durch das Fenster beobachtet hatte.
»Was haben Sie erwartet, mein Lieber?«
Wir stiegen auf den Kutschbock und fuhren dick vermummt zum Pigeons Inn zurück, wo uns unsere Wirtin ein herzhaftes Frühstück servierte. Nach und nach wich die Kälte aus unseren Gliedern, und wir besprachen die Ereignisse der letzten Stunden.
»Watson, erschien es Ihnen in der derzeitigen Situation tatsächlich von Nutzen, den Ausführungen des Stallburschen zu folgen? Dieser Farce werden wir uns ohnehin annehmen müssen, wenn es soweit ist. Noch besteht dazu keine Notwendigkeit. Es überrascht mich absolut nicht, dass Kingslay ein Indiz in Montgomerys Tasche versteckt hat. Ohne jeden Zweifel wird es den Jungen belasten.«
»Das ist doch ungeheuerlich! Der Mann steht im Dienst der Britischen Krone.«
»Er erfüllt einen Auftrag. Die eigentliche Frage lautet doch vielmehr, was Montgomery getan oder gewusst hat, dass man ihn aus dem Wege räumen musste. Der Mord an einem Bischof wirbelt ziemlich viel Staub auf, vor allem, wenn es sich um einen direkten Untergebenen des Oberhauptes der Anglikanischen Kirche handelt. Sie erinnern sich an meine Verabredung mit ihm? Fakt ist, dass ich nicht schnell genug war.«
»Hat meine Vergangenheit damit zu tun?«, fragte ich meinen Gefährten auf den Kopf zu, der sich einige Zeit lieÃ, bis er schlieÃlich antwortete.
»Im weiteren Sinne schon, ja, denn wir tauchen plötzlich hier auf und stellen Nachforschungen über die Vergangenheit an.«
Seine Miene verfinsterte sich, als er weitersprach.
»Was mich vor allem erstaunt, ist, dass der Bruch in Ihrer Lebensgeschichte etwas mit diesem Geheimnis zu tun hat. Und noch verwunderlicher ist es, dass Ihnen dies nicht bewusst ist. Es sieht ganz so aus, als habe ein Trauma einen Teil Ihrer Erinnerung regelrecht verschüttet.«
»Bruch in meinem Leben? Was genau meinen Sie damit, Holmes?«, fragte ich reichlich irritiert nach.
»Wie erklären Sie sich, dass Sie in Ihrer Jugend eine angesehene Privatschule besucht haben? Ich darf Sie an Percy Phelps erinnern, der sich an Sie, respektive an mich gewandt hat wegen des verschwundenen Flottenvertrags. Und obwohl Sie also mit Phelps, immerhin dem Enkel des AuÃenministers Lord Holdhurst, auf der Schule waren, wählen Sie nach dem Studium die Armee, um Ihren Beruf auszuüben. Gut, das ehrt Sie einerseits, aber es bestand wohl auch die Notwendigkeit, diesen Weg zu gehen. Als Sie nach London zurückkehren, leben Sie von elfeinhalb Shilling Versehrtenrente pro Tag, die Ihnen zustanden. Meine Frage lautet also: Was ist mit den finanziellen Mitteln Ihrer Familie geschehen?«
Tatsächlich schien das, was mir als Antwort auf seine Ãberlegung in den Kopf kam, recht unpassend.
»Nach dem Tod meines Vaters waren wir eben finanziell nicht mehr so gut gestellt.«
»Lieber Freund, das mag bis zu einem gewissen Grad zutreffen, aber ich bin der festen Ãberzeugung, dass noch ganz andere Dinge vorgefallen sind, die Ihren gesellschaftlichen Abstieg bewirkt haben.«
Er klang kämpferisch, als habe er den festen Entschluss gefasst, das mir widerfahrene Unrecht aufzuklären. Tatsächlich hatte ich die Situation seit meiner Rückkehr aus Afghanistan als gegeben hingenommen und keine Sekunde mehr einen Gedanken an meine Familie als Rückhalt verschwendet. Ich war zugegebenermaÃen schockiert.
»Was auch immer, Holmes. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was hier gespielt wird.«
»Ich werde versuchen, Ihnen ein paar grundlegende Probleme anzudeuten, denen wir uns gegenübersehen: Welche Rolle spielten Sir Edward und Compton Lodge? Und wie war die Verbindung zwischen diesem Herrn und der Anglikanischen Kirche? Dann die beiden Gemälde. Warum befindet sich das eine Bild auf dem ansonsten so gut wie leeren Anwesen von Compton Lodge? Wieso hängt ein zweites, übermaltes Bild in der St. Martinâs Church? Worauf verweisen die Bilder? Dazu kommen der antike Spiegel und das verschwundene Zimmer, von dem Sie während Ihres Deliriums gesprochen haben. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich das Zimmer gefunden. Sie waren im Ãbrigen
Weitere Kostenlose Bücher