Das Geheimnis von Digmore Park
all meine Bemühungen vergeblich. Weißt du, wie lange es gedauert hat, so eine lange Leiter aufzutreiben? Und glaub mir, ich sehne mich nach dem Augenblick, wieder festen Grund unter den Füßen zu haben. Also, ich klettere jetzt hinunter, und du folgst mir nach.“
Dewary hielt ihn am Ärmel zurück. „Warum sollte ich das tun? Und vor allem, warum tust du das, Edward, du kannst mich nicht ausstehen.“
Sein Cousin schnaufte unwillig. „Mit Sympathie hat das gar nichts zu tun, Dewary. Es geht mir einzig und allein um die Rettung der Familienehre!“
„Um die Rettung der Familienehre?“, wiederholte Dewary ungläubig. „Wie gedenkst du denn die Familienehre zu retten, wenn du mir hilfst, heimlich mein Gefängnis zu verlassen?“
„Das ist es ja gerade!“, fuhr seine Lordschaft auf. „Ich kann doch nicht tatenlos dabei zusehen, dass dich die Häscher von einem dahergelaufenen Friedensrichter tagelang einsperren und anscheinend nicht im Geringsten die Absicht haben, dich in der nächsten Zeit hier herauszulassen.“
Erst jetzt fiel sein Blick in das Zimmer hinein, und er sah Elizabeth stumm bei Tisch sitzen. „Oh, meine Verehrung, Miss Porter. Hier stecken Sie also, während Ihre besorgte Mutter das Haus von unten nach oben durchsuchen lässt!“ Seine Stimme triefte vor Hohn, den sie auch nicht vermissen ließ, als er sich an wieder seinem Cousin zuwandte. „Alle Achtung, Dewary, schon früher war ich es gewohnt, dich stets in charmanter Damenbegleitung anzutreffen, aber dass du sogar in einem Gefängnis nicht darauf verzichten musst, das überrascht mich doch. Hut ab, mein Freund, Hut ab!“
„Du kannst deinen Hut ruhig aufbehalten, Edward. Du weißt ganz genau, dass es deine reizende Gattin war, die Miss Porter ins Turmzimmer eingesperrt hat.“
„Louise?“ In Mylords Stimme lag ehrliches Erstaunen. „Warum sollte meine Frau denn so etwas tun?“
Dewary überhörte den Einwand. „Anscheinend wusste Lady Bakerfield nichts von dem Verbindungsgang zu meinem Zimmer, sonst würde es dich jetzt nicht wundern, Miss Porter bei mir vorzufinden. Du kannst mir glauben, man erträgt die Einsamkeit und so manch lange Stunde viel leichter zu zweit als allein.“
„Erzähl das Lady Portland, lieber Cousin, sie weint sich die Augen aus in Sorge um ihre Tochter. Wie wird sie doch froh sein, sie heil und unversehrt wiederzubekommen! Entehrt, aber unversehrt. Zumindest äußerlich.“
„Wenn du nicht willst, dass ich dich fordere, Cousin, dann hältst du jetzt sofort den Mund!“
„Du willst mich fordern, Vetter? Dann stehe ich dir mit dem größten Vergnügen zur Verfügung! Wenn du wüsstest, wie sehr ich mir mein ganzes Leben lang gewünscht habe, meine Waffe gegen dich zu richten! In den letzten Wochen … aber lassen wir das …“
Dewary hatte nicht übel Lust, mit beiden Händen das obere Ende der Leiter zu umfassen, um es mit einem Ruck vom Haus wegzustoßen. Doch stattdessen würdigte er seinen Cousin keines weiteren Wortes, sondern forderte ihn auf, endlich die Leiter hinunterzuklettern. Edward tat, wie ihm geheißen, und Dewary schenkte Elizabeth ein kleines, etwas schiefes Lächeln, bevor er sich auf das Fensterbrett schwang. Elizabeth lief zum Fenster hinüber. „Lass mich nicht zu lange warten, Liebster, hörst du?!“
„Ach, welch rührende Szene!“, kam von unten der spöttische Kommentar. Seine Lordschaft hatte wieder festen Boden unter den Füßen, und als Dewary eben ansetzte, sich solche Bemerkungen künftig zu verbitten, sah er, dass Bakerfield ein Pferd am Zaumzeug führte. Sehr umsichtig, der Herr Cousin, fürwahr. Da würde er die Bemerkung besser unwidersprochen hinnehmen.
„Jetzt komm endlich, Dewary! Aufs Pferd mit dir! Du hast keine Zeit zu verlieren!“
Elizabeths Herz klopfte bis zum Hals, als ihr Liebster begann, die wackelige Leiter hinabzusteigen. Was, wenn die Sprossen sein Gewicht nicht trugen? Was, wenn Edward der Leiter einen Stoß gab? Es war nicht gut, Dewary in den Händen dieses Mannes zu wissen. Und doch, es gab keine andere Möglichkeit. Aufseufzend ließ sie ihren Blick über den Vorhof streifen. Dieser lag still und verlassen in der wärmenden Sonne. Keine Wachposten weit und breit. Seine Lordschaft und Dewary waren die einzigen Menschen, die sie sehen konnte. Oder doch nicht? Bewegte sich dort etwas in der Ligusterhecke? War das ein Hund? Seltsam, sie hatte nie einen Hund in der Nähe des Hauses gesehen. Mit aufmerksamem Blick behielt sie die Hecke im
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