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Das Geheimnis von Digmore Park

Das Geheimnis von Digmore Park

Titel: Das Geheimnis von Digmore Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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Arbeit gründlich.“
    Dewary nutzte die verbleibenden Minuten, um die beiden Kutschen näher in Augenschein zu nehmen. Die Druckfedern von Miss Elizabeths Phaeton sollten wieder einmal gereinigt und geölt werden. Und die große Reisekutsche musste dringend zum Schmied, wollte man nicht Gefahr laufen, bei der nächsten Ausfahrt das rechte hintere Rad zu verlieren.

    Pünktlich zur Mittagsstunde beugte sich Lucy, die Magd, aus dem Küchenfenster und schwang die silberhelle Glocke, die alle Bediensteten zur Mahlzeit rief. Wie auf Kommando ließ Joseph das Büschel Stroh fallen. „Fertig, Sir! Können wir gehen?“
    Dewary musste lächeln. Dass der Bursche ein Auge auf das Mädchen aus der Küche geworfen hatte, war ihm in den letzten Tagen schon aufgefallen. Da trieb ihn jetzt wohl nicht nur der Hunger ins Haus. In dem Moment näherte sich Jacob über den Hof, er trug einen schweren Korb mit Brennholz. „Alles kleingehackt, Mr. Michaels. Hinter dem Haus steht noch so ein großer Korb. War ein schönes Stück Arbeit.“
    Dewary klopfte ihm anerkennend auf die Schultern. „Gut gemacht. Schnell noch die Hände gewaschen und dann ab an den Mittagstisch.“
    Auch John näherte sich im Laufschritt. „Ich habe etwas Teer in einem Blecheimer mitgebracht und zur Koppel gestellt, Mr. Michaels! Jetzt müssen wir bloß noch Feuer machen und das Ganze erhitzen.“
    Zu viert traten sie an die Pferdetränke und wuschen sich die Hände unter eiskaltem Wasser. Natürlich konnte es Jacob, der Jüngste, nicht lassen, die anderen Burschen nass zu spritzen. Lachend überquerten sie den Hof, Dewary mit einigen Schritten Abstand hinter ihnen. Die drei waren gute Burschen, wenn man ihnen zeigte, wo es langging. Er würde kein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn er seine Arbeitsstelle wieder verließ. John war bald soweit, die Leitung im Stall zu übernehmen.
    Die Köchin, Mrs. Gelderway, trat ans Fenster und beobachtete, wie sich die gut gelaunte Gruppe dem Haus näherte. Zufrieden wischte sie ihre Hände an ihrer Schürze ab. Mit der Auswahl dieses Stallmeisters hatte Miss Elizabeth wahrlich ein gutes Händchen bewiesen. Die Männer traten in die Küche. Dewary musste sich vorneigen, um sich nicht den Kopf am Türstock anzuschlagen. Man hatte ihm am ersten Abend den Platz neben der Köchin zugewiesen, doch heute hielt sie ihren Stuhl am Kopfende für ihn bereit. „Übernehmen Sie doch den Vorsitz, Mr. Michaels. Dieser Platz gebührt dem obersten Diener im Haus. Und das sind jetzt Sie. Wir freuen uns, Sie bei uns zu haben.“
    Zustimmendes Gemurmel begleitete ihre Worte. Dewary bedankte sich gerührt. Mit einer so ehrlich dargebrachten Freundlichkeit war er noch nie in einer Runde willkommen geheißen worden. Und so präsidierte er der Tafel, die Köchin zu seiner Rechten, die Haushälterin zu seiner Linken. Welch ungewöhnliche Gesellschaft! Irgendjemand hatte ihm einmal erzählt, dass die Regeln, die in der Dienerschaft galten, noch strenger waren als die der adeligen Gesellschaft. Er hatte dem keinen Glauben geschenkt. Hier jedoch wurde er eines Besseren belehrt. So freundschaftlich und locker der Umgangston während der Arbeit auch sein mochte, bei Tisch waren die Sitten streng.
    „Wollen Sie das Tischgebet sprechen, Mr. Michaels?“, erkundigte sich die Köchin, die diese Aufgabe in den letzten Tagen versehen hatte.
    Ein Tischgebet? Er wusste kein Tischgebet. Wann hatte er das letzte Mal eines gesprochen? Nicht mehr, seit er dem Schulzimmer und damit der strengen Aufsicht seiner Nanny entkommen war.
    „Es wäre mir eine Freude, wenn Sie dies weiterhin übernehmen würden, Mrs. Gelderway.“
    Die Haushälterin lächelte ihm wohlwollend zu. Alle falteten die Hände. „Bless, O Lord, this food to our use and us to thy loving service; and keep us ever mindful of the needs of others”, betete die Köchin. „Amen“, antwortete die Runde.
    Dann servierte Lucy das Essen. Mr. Michaels wurde die Ehre zuteil, das Brot in Stücke zu brechen, bevor es an alle verteilt wurde. Was auch immer er Miss Porter vorwerfen mochte, geizig war sie nicht. Keiner musste vom Tisch aufstehen, ohne sich ausreichend satt gegessen zu haben. Hätte man Frederick Dewary jemals prophezeit, dass er sich im Kreise völlig fremder Menschen, die ihm weder an Bildung noch vom Rang im Geringsten das Wasser reichen konnten, so wohlfühlen würde, er hätte dies ins Reich der Fantasie verwiesen. Dennoch, es bestand kein Zweifel: Er fühlte sich tatsächlich wohl.

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