Das Geheimnis von Digmore Park
dass Sie wirklich völlig ahnungslos sind, Lady Portland? Dann ist es wohl meine Pflicht, Ihnen das traurige Geheimnis zu enthüllen, das Ihren Stallknecht umgibt.“
Elizabeth saß nun wieder kerzengerade auf dem Sofa. „Unseren Stallknecht? Meinen Sie John oder meinen Sie Joseph, nun sprechen Sie schon …“
Linworth lachte auf. „Ach Gott, weiß ich denn, wie er sich hier nennt? Ich spreche von diesem großen Kerl mit den zu langen dunklen Locken …“
Elizabeths Beunruhigung nahm zu. „Sie meinen doch nicht etwa Mr. Michaels?“
Wieder wanderte Myladys Blick von ihrem Gast zu ihrer Tochter. „Wer bitte ist Mr. Michaels, Elizabeth?“
„Unser neuer Stallmeister, Mama, das weißt du doch. Der, den Pfarrer Bishop uns vor einigen Wochen empfohlen hat. Er hat dich des Öfteren zu Lady Marvel kutschiert, erinnerst du dich nicht?“
Mylady erinnerte sich nicht. Sie konnte sich doch nicht jeden Bediensteten merken.
„Sieh mal einer an, die Angelegenheit wird ja immer spannender! Jetzt ist also auch noch der hochwürdige Herr Pfarrer in diese Geschichte verwickelt.“
Elizabeth stockte fast der Atem. Wie hatte sie nur so unvorsichtig sein können, den Pfarrer in diesem Zusammenhang zu erwähnen? Doch nun konnte sie die Worte nicht mehr zurücknehmen. Außerdem gab es da etwas, was sie noch viel dringlicher wissen wollte. „Also, sagen Sie ohne Umschweife und frei heraus, Mylord, was genau Sie meinem Stallmeister, Freddy Michaels, vorzuwerfen haben!“
Jetzt lachte Linworth schallend. „Freddy Michaels!“, rief er aus. Es fehlte nicht viel, und er hätte sich vor Vergnügen mit beiden Händen auf die Schenkel geklopft. „Freddy Michaels! Wie originell! Und doch, Miss Elizabeth, sein richtiger Name ist Dewary, Frederick Michael Dewary.“
Elizabeth konnte mit diesem Namen nichts anfangen, doch Mylady wurde hellhörig. „Dewary, Dewary“, murmelte sie vor sich hin, „ist das nicht der Name des Earl of Digmore?“
Lord Linworth stimmte ihr fröhlich zu. „Ja, Sie haben völlig recht, Mylady! Für den alten Lord ist es natürlich eine schreckliche Pein zu wissen, dass sein einziger Sohn ein Verbrecher ist!“
Elizabeth konnte es immer noch nicht glauben. „Und wen soll Mr. Michaels, ich meine, wie auch immer der Mann in Wahrheit heißt, umgebracht haben?“
Seine Lordschaft hob bedauernd die Hände. „Das entzieht sich meiner Kenntnis, Miss Elizabeth. Ich würde es Ihnen sagen, wenn ich es wüsste. Tatsache ist, dass nach dem Mann gefahndet wird!“
Elizabeth sah ihren unliebsamen Besucher eindringlich an. Leider entdeckte sie keine Anzeichen dafür, dass er log.
„Im Haus von Deverell sprach man über nichts anderes mehr! Alle fragten sich, wohin Dewary verschwunden sein könnte, nachdem er die Armee bei Nacht und Nebel verlassen hat.“
„Mr. Michaels diente bei der Armee?“
Linworth nickte. „Er war Major bei den Lifeguards und bis vor Kurzem in Spanien. Als man seinem Verbrechen auf die Schliche gekommen war, ist er anscheinend feige davongelaufen und hat sich unter falschem Namen hier versteckt …“
Elizabeth schüttelte ungläubig den Kopf. „Was für ein Schauermärchen tischen Sie uns da auf, Mylord? Warum sollte sich ein Mann von Stand, ein Offizier noch dazu, als Knecht verdingen, wenn er doch im Haus seiner Väter Schutz suchen könnte?“
„Er kann nichts dergleichen!“, trumpfte Linworth auf. „Digmore Park wird wie eine Festung belagert. Eine Vielzahl Wachen wartet nur darauf, ihn vor den Lauf zu bekommen.“
„Aber das ist ja ungeheuerlich!“, murmelte Lady Portland.
„Wie man’s nimmt. Die Gesellschaft bei Deverell war gespaltener Meinung. Ein paar Unverbesserliche meinten, Dewary sei bis zum Beweis des Gegenteils unschuldig, andere sagten, für sie sei er mit Sicherheit der Mörder. Die Wetteinsätze stehen vier zu eins. Ich sehe gute Chancen zu gewinnen.“
In Elizabeths Kopf arbeitete es fieberhaft. Sollte Linworth tatsächlich recht haben? Erschreckend viele Anzeichen sprachen dafür. Hatte sie sich nicht selbst wiederholt über die guten Umgangsformen ihres Stallmeisters gewundert? Sein umfassendes Wissen wies ihn als viel zu gebildeten Mann aus. Sollte sie tatsächlich den Sohn eines Earls und damit einen gesuchten Mörder unter ihrem Dach beherbergen? Noch war sie nicht bereit, dem Gehörten Glauben zu schenken. Wenn es schon sein sollte, dann war Mr. Michaels ein Adeliger, der sich aus irgendeinem Grund hier versteckte. Ein Mörder war er ganz gewiss
Weitere Kostenlose Bücher