Das Geheimnis von Digmore Park
holen.
Da stand er nun im kleinen rosa Salon, und Elizabeth fragte sich, wie sie so dumm und blind hatte sein können, auch nur eine Minute lang anzunehmen, dieser Mann sei etwas anderes als ein Adeliger. Er bewegte sich im Salon nicht linkisch, wie es die anderen Stallburschen taten. Seine Manieren waren tadellos und seine Sprache so gewählt, dass er in den vornehmsten Häusern nicht fehl am Platze gewesen wäre. „Setzen Sie sich bitte, wir haben etwas mit Ihnen zu besprechen.“
Dewary hob überrascht eine Augenbraue. Das ließ nichts Gutes erahnen! Er rückte sich den Stuhl zurecht, den eben noch Linworth benutzt hatte, nahm Platz, lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und sah Elizabeth erwartungsvoll an. Doch es war nicht Miss Porter, die das Wort ergriff, sondern ihre Mutter. „Also, das sieht man doch, meine Liebe, dass das kein Stallknecht ist! Wo hattest du denn deine Augen?“
Während Elizabeth sich von diesem völlig unerwarteten Vorwurf erst erholen musste, wusste Dewary nicht, ob er schmunzeln oder in Panik darüber ausbrechen sollte, dass seine Tarnung aufgeflogen war. Allerdings war er nicht wirklich überrascht. Linworth war mit schnellen Schritten in den Stall gekommen und hatte sich grußlos aufs Pferd geschwungen, kaum, dass der Sattel aufgelegt worden war. Er hatte nicht ernsthaft hoffen können, dass der Mann so etwas wie Verschwiegenheit kannte.
„Wie lautet Ihr wirklicher Name, Sir?“, erkundigte sich Elizabeth, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.
Dewary schickte sich ins Unvermeidliche. Es war Zeit für die Wahrheit.
„Frederick Michael Anthony Dewary“, stellte er sich also förmlich vor, um noch hinzuzufügen: „Ich bin der einzige Sohn von John Parker Dewary, dem Earl of Digmore, und seiner leider bereits verstorbenen Gattin Catherine.“
Ihre Ladyschaft war hellauf begeistert. „Wusste ich es doch!“ Der Triumph in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Ich wollte es nicht sagen, während dieser unmögliche Mensch noch hier war, aber ich habe Ihre Mutter gekannt, Sir. Wir haben damals gemeinsam in London debütiert, die liebe Catherine und ich. Es erfüllt mich mit Bedauern, zu hören, dass Ihre Mutter bereits verstorben ist. Wie lange ist es her?“
„Es sind jetzt fast vier Jahre, Mylady. Ich freue mich, dass Sie meine Mutter in so guter Erinnerung haben …“
Elizabeth räusperte sich. „Das hat sie sicherlich, doch das ist nicht das, was wir mit Ihnen besprechen möchten, Mr. …“ Sie zögerte.
„Solange ich in dieser Verkleidung stecke, Miss Porter, halte ich es für am besten, wenn Sie mich weiter ‚Mr. Michaels’ nennen.“
„Gut. Diese Verkleidung ist der Grund, warum ich Sie habe kommen lassen.“
Ihr Stallmeister, der ihr nun wie ein eleganter Gentleman gegenübersaß, hob seine rechte Augenbraue.
„… ich Sie gebeten habe, zu kommen“, verbesserte sie sich rasch und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Es war schon in der Vergangenheit oftmals schwierig gewesen, ihm gegenüber den richtigen Ton zu treffen. Jetzt, da er sie so selbstbewusst und zugleich so erwartungsvoll ansah, war es mit einem Schlag noch schwieriger geworden. Und dies umso mehr, da ihn ein Geheimnis umgab, das sie ergründen wollte, und es nicht den Anschein hatte, als wäre er geneigt, sich zu offenbaren. Doch da tat sie ihm unrecht.
„Ich weiß, ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig. Natürlich haben Sie ein Anrecht darauf, genau zu wissen, wer unter Ihrem Dach wohnt. Doch ich muss Sie bitten, Stillschweigen zu wahren. Je weniger Menschen davon wissen, wer ich bin, vielmehr, je weniger Menschen wissen, wo ich bin, desto besser. Es handelt sich tatsächlich um eine sehr ernste Angelegenheit, ja ich muss, ohne zu übertreiben, sagen, es geht um Leben und Tod.“
„Wir versichern Sie unserer Verschwiegenheit, Mr. … Michaels, wenn Sie nur endlich aufhören, in Rätseln zu sprechen!“
„Nun, ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Mörder ist“, verkündete ihre Ladyschaft und blickte verwundert auf, als ihre Tochter und ihr vermeintlicher Stallmeister sie entgeistert ansahen.
„Lord Linworth war sich also auch nicht zu schade, Ihnen davon zu erzählen“, stellte Dewary fest, und seine Stimme klang bitter.
Die nächsten Minuten vergingen damit, dass er die gebannt zuhörenden Damen ins Bild setzte über das, was man ihm vorwarf. Er schloss mit den Worten: „Ich sehe nur einen Weg, wie es mir gelingen könnte, meine Unschuld
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