Das Geheimnis von Digmore Park
überraschend zu Wort. „Es war schon lange meine Absicht, dem Witwer meiner lieben Freundin Catherine einen Besuch abzustatten. Erklären Sie meiner Tochter einfach alle nötigen Einzelheiten. Ich verspreche Ihnen, sie wird in einem unbeobachteten Moment in Ihr Zimmer schlüpfen, wenn wir erst einmal als Gäste auf Digmore Park weilen.“
Und zum zweiten Mal an diesem Abend zog sie kräftig am Klingelstrang. „Ich werde sofort Anweisung geben, die Koffer zu packen. Ach, wird das ein Abenteuer!“
Weder Dewary noch Elizabeth sagte ein Wort. Der Plan war zu verlockend, als dass Dewary hätte widersprechen können. Er kannte die neue Lady Bakerfield nicht, doch er konnte sich nicht vorstellen, dass sie den Mut, ja die Dreistigkeit besitzen würde, eine Freundin der verstorbenen Hausherrin abzuweisen! Und wenn Miss Elizabeth erst einmal eines der Gästezimmer bezogen hätte, dann würde es ihr vielleicht wirklich möglich sein, heimlich in sein Zimmer zu gelangen und das Geheimversteck zu finden …
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Mama.“ Elizabeth war etwas unbehaglich zumute angesichts des Elans ihrer Mutter. „Vielleicht möchte Mr. Michaels mir das Versteck auch gar nicht verraten. An der Adresse hängt sein weiteres Schicksal, ich weiß nicht, ob er mir so weit vertraut …“
Beide hatten sie sich erhoben und standen nun ganz nah nebeneinander, blaue Augen blickten in blaue Augen. In diesem Moment traf sie beide die Erkenntnis, dass sie sich nie wieder als Herrin und Stallmeister gegenübertreten würden. Sie waren jetzt eine junge Lady und ein adeliger Offizier. Sie standen auf gleicher Stufe.
„Ich vertraue Ihnen, Miss Porter“, sagte Dewary ernst, „und wenn ich mein Leben in Ihre Hände legen muss.“
Elizabeth lächelte ihn freudestrahlend an. Ganz gewiss waren seine Worte ein Zeichen dafür, dass ihre Gefühle für ihn nicht einseitig waren! „Ich werde alles daransetzen, mich als dieses Vertrauens würdig zu erweisen!“
Dewary konnte sich keinen Reim auf Miss Porters überschwängliches Lächeln machen. Es traf ihn gänzlich unerwartet und versetzte ihn für einen Augenblick in einen Zustand der Glückseligkeit. Doch rasch holte er sich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. „Ich danke Ihnen beiden. Ich bin Ihnen zu größtem Dank verpflichtet dafür, dass Sie mir helfen wollen, meine Unschuld zu beweisen, damit ich als freier Mann nach Hause zurückkehren kann, um meine Verlobte Vivian zum Traualtar zu führen.“
21. Kapitel
Drei Tage später in den frühen Abendstunden verstummte eben der sechste und letzte Schlag der großen Pendeluhr im Speisezimmer von Digmore Park, und Lord und Lady Bakerfield waren dabei, an der Tafel Platz zu nehmen, als der Türklopfer laut und vernehmlich das Eintreffen später Gäste verkündete. Mr. Richards, der Butler, der gerade das Speisezimmer betreten wollte, um die Diener beim Auftragen der Silbertabletts zu beaufsichtigen, hob fast ein wenig empört eine Augenbraue und ließ die Türklinke los. Wer begehrte zu so ungewöhnlicher Stunde Einlass? Welch ein Verfall guter Sitten! Alles war anders geworden seit Lady Barbaras Tod. Die Verwandtschaft machte sich auf Digmore Park unbotmäßig breit, und seine Lordschaft hatte davon Abstand genommen, die unteren Geschosse zu betreten. Mr. Richards seufzte. Obendrein fehlte ihm sein Freund Mr. Jennings. Er war der Einzige gewesen, mit dem man am Abend vernünftig hatte plaudern können. Gemäßigten Schrittes ging er zur Eingangstür und schob den schweren Riegel zur Seite. Wer auch immer vor dem Tor stand, er würde ihn nicht einlassen.
Doch wie sich umgehend herausstellte, lag der Butler damit falsch. Vor dem Haus standen zwei elegante Kutschen, die vordere trug ein ihm unbekanntes Wappen am Wagenschlag und wurde von vier prachtvollen grauen Pferden gezogen. Der Kutscher war zwar noch ein recht junger Bursche, doch in den Konventionen gut geschult.
„Ich wünsche Ihnen einen guten Abend, Sir“, sagte er so höflich, dass er den Butler sofort für sich einnahm. „Meine Herrin, Lady Constanze, die Witwe des verstorbenen dritten Earl of Portland, und ihre Tochter Miss Elizabeth Porter sind gekommen, um seiner Lordschaft, dem Earl of Digmore, ihre Aufwartung zu machen. Würden Sie wohl die Freundlichkeit haben, die beiden Damen ins Haus zu geleiten?“
Dewary hatte es sich nicht nehmen lassen, die Grauen den größten Teil der Strecke selbst zu kutschieren. Obwohl die Tiere die
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