Das Geheimnis von Ella und Micha: Ella und Micha 1 - Roman (German Edition)
praktisch nicht und er mich auch nicht. Gleichzeitig fange ich allmählich an zu glauben, dass ich mich selbst ebenso wenig kenne.
»Weiß Dad, dass du verlobt bist?«, frage ich. »Hattest du wenigstens vor, es ihm zu sagen?«
»Selbst wenn ich es ihm erzähle, hat er es am nächsten Tag vergessen.« Er leert eine Kommodenschublade in einen großen Karton. »Du weißt, wie er ist. Echt, ich glaube, die meiste Zeit versteht er nicht mal, dass du und ich nicht mehr hier wohnen!«
»Trotzdem verdient er, dass du es ihm erzählst«, sage ich. »Er ist kein schlechter Mensch, und das weißt du. Er hat bloß Probleme.«
»Probleme, die uns die Kindheit versaut haben.« Er kickt eine Schachtel mit voller Wucht aus dem Weg, sodass sie gegen die Wand knallt. »Dir ist ja wohl klar, dass nicht normal ist, wie wir aufgewachsen sind. Ehrlich, sogar Micha hatte es leichter, und sein Dad hat sich einfach vom Acker gemacht. Aber er hatte wenigstens eine psychisch stabile Mutter, die sich um ihn gekümmert hat.«
»Ähm …« Lila steckt den Kopf zur Tür herein. »Ich warte lieber draußen auf dich, Ella.«
Verdammt, ich habe vergessen, dass sie da ist und alles hört.
»Okay, ich komme gleich«, sage ich, und sie läuft eilig nach unten. Ich wandere durch Deans Zimmer, sehe mir die Fotos an den Wänden an. »Ich fürchte, wir haben sie eben zu Tode erschreckt.«
Dean nimmt seine Drumsticks und packt sie in eine große Reisetasche. »Wie kommt’s, dass du mit der befreundet bist?«
»Wir haben uns ein Zimmer geteilt und uns so irgendwie angefreundet.« Ich zucke mit den Schultern und hebe ein Foto von Dean und seinem Freund an einem sonnigen Strand hoch. Es wurde auf der Schulreise im letzten Highschooljahr aufgenommen, und Dean wirkt glücklich.
»Ihr habt euch angefreundet? Das Mädchen sieht wie eine verwöhnte Prinzessin aus.«
Ich mustere ihn in seinen schicken Klamotten. »Du auch.«
»Erstens bin ich keine Prinzessin, und zweitens habe ich selbst verdient, was ich besitze«, sagt er. »Es wurde mir nicht einfach gegeben.«
»Vielleicht hat sie das auch.«
»Hat sie?«
Ich hasse es, ihm recht geben zu müssen. »Nein, ihre Eltern sind ziemlich vermögend.«
Er sieht mich mit diesem dämlich arroganten Ausdruck an, den er immer bekommt, wenn ich ihm recht gebe. »Tja, da hast du’s.«
»Sie ist nett«, widerspreche ich. »Und sie stellt nicht viele Fragen.«
»Du denkst vielleicht, dass man bestimmte Sachen für sich behalten muss«, erwidert er und steckt eine Decke in einen Karton, »doch das ist ungesund. Du musst jemanden finden, bei dem du alles rauslassen kannst. Sonst drehst du durch.«
Automatisch wandert mein Blick zum Fenster, durch das ein Ende von Michas Haus zu sehen ist. »Ich glaube, das ist nicht mehr nötig.«
Dean runzelt die Stirn, während er eine Handvoll Gitarrenplektren in eine Truhe wirft. »Wie? Bist du schon durchgedreht, oder hast du schon jemanden, mit dem du über alles reden kannst?«
»Beides.« Ich gehe rückwärts zur Tür. »Wann fährst du wieder nach Chicago?«
»Heute Abend, hoffe ich. Nichts für ungut, aber hier gibt es zu viele unerfreuliche Erinnerungen.«
»Es wäre schön, wenn du dich verabschiedest, ehe du losfährst.«
Er reagiert nicht, und ich warte nicht auf eine Antwort. Dies war womöglich das längste Gespräch, das wir je geführt haben, und ich habe das Gefühl, dass es für lange Zeit unser letztes gewesen sein dürfte.
Kapitel 12
MICHA
»Alter, wo verdammt noch mal hast du heute deinen Kopf?«, fragt Ethan. Im nächsten Moment fliegt mir ein öliger Lappen ins Gesicht.
Ich werfe ihn mit Wucht zurück. »Allmählich gehst du mir mit diesem Scheiß mächtig auf den Sack.«
Ethan reißt übertrieben die Augen auf. »Ist ja gut, Mann. Aber du bist seit zwei Tagen völlig ferngesteuert.« Sein Kopf taucht wieder unter die Motorhaube. »Und ich sage auch gar nicht, warum.«
»Prima, denn ich will es gar nicht hören.« Ich gehe um meinen Wagen herum und mustere die Werkzeuge an der Garagenwand. Dann nehme ich einen rostigen Werkzeugkasten – eines der wenigen Dinge, die mein Dad zurückgelassen hat, und werfe ihn in den Mülleimer. Heute Morgen hat er wieder angerufen und auf dem Anrufbeantworter gebettelt, dass meine Mom oder ich rangehen.
Ethan hebt den Kopf und sieht in den Mülleimer. »Willst du mir verraten, was das soll?«
»Nein.« Ich schnappe mir einen Schraubenschlüssel und mache mich an die Arbeit am Wagen.
Eine Weile basteln
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