Das Geheimnis von Islay Island
ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe – nach der gestrigen Sonne ein bisschen enttäuschend. Das strahlende Blau des Himmels und das leuchtende Grün der See, der Felder war dem Grau von tiefhängenden Wolken gewichen. Auch mit der sanften Brandung in der großen Bucht, wo die Seehunde auf den kleinen Sandbänken in der Sonne gelegen hatten, war es vorbei, und von den beiden Schwänen, die über das windstille, glatte Meer wie über Glas geglitten waren, weit und breit nichts zu sehen. Jetzt peitschte eine steife Brise das bleigraue Wasser zu Kabbelwellen auf. Ein Turmfalke ließ sich vom Wind in die Höhe tragen, um dann seitlich abzuschwenken und hinter eine der Felsnasen unweit der Straße zu tauchen. Für Touristen, die einen Tag an den weißen Sandstränden geplant haben mochten und vielleicht die im seichten Wasser herumtollenden Otter fotografieren wollten, war das Wetter sicherlich ein Ärgernis. Bei meinen Tagesplänen spielte es allerdings keine Rolle.
Unterwegs auf der schmalen, einspurigen Straße prägte ich mir meine Umgebung ein. Sollte Moran tatsächlich bald eintreffen, musste ich darauf vorbereitet sein, so schnell wie möglich unterzutauchen. Am besten würde ich mich während des Tages unter dem Vorwand einer ganz normalen Fahrt in die Stadt aus dem Staub machen können. Mit ein bisschen Glück würde mein Verschwinden erst nach mehreren Stunden bemerkt, genügend Zeit, um die Fähre oder ein Flugzeug zu erwischen. Allerdings war es ratsam, mir auch für den schlimmsten Fall einen Plan zurechtzulegen – die Flucht über das Anwesen in einen sicheren Unterschlupf irgendwo in der Natur. Ich hoffte, dass es dazu nicht kommen würde. Wald schien auf Islay spärlich zu sein, stattdessen gab es überall verstreutes Gebüsch und Gestrüpp, dazwischen gelegentlich einen Schutzwall aus Bäumen rund um ein großes Haus.
Als ich Ardbeg, die erste der drei Brennereien auf meinem Weg die Südküste entlang, erreichte, war der Mangel an Verstecken mehr als nur ein wenig besorgniserregend. Denn die Erfahrung hatte mich gelehrt: Etwas, das passieren kann, wird auch passieren.
Ich hielt an der roten Telefonzelle in der Nähe des Eingangs zur Brennerei. Selbst an einem grau verhangenen Tag waren die weißen Gebäude der Brennerei mit ihren pagodengekrönten Schornsteinen von einer großen Anziehungskraft. Zwischen den Bauten erspähte ich einen Pier und Seemöwen, die über einem aufgewühlten Meer ihre Kreise zogen. Ich ließ die Scheibe herunter und nahm ein paar Züge von der salzigen Luft. Dann siegte die Vorsicht. Ich sollte mich besser nicht so nah bei Allt an Damh an einer Telefonzelle blicken lassen, und so fuhr ich weiter.
Als ich durch Port Ellen kam, war keine Fähre am Pier vertäut, was mir in Erinnerung rief, dass ich mir für eine mögliche Flucht unbedingt den Fahrplan merken musste. Die Low Road nach Bowmore führte endlos durch die verregnete Ebene, und zu beiden Seiten der Straße dehnte sich, so weit das Auge reichte, nur Torfmoor, auf dem sich unter dem ständigen Atlantikwind als einzige Vegetation Wacholderbüsche duckten. Über das kurze Gras der Weiden waren Schafe verstreut, etliche, wie hingeworfene weiße Punkte.
In der Touristeninformation von Bowmore nahm ich wie jeder gewöhnliche Gast eine Handvoll Broschüren mit, eine nützliche Tarnung für meinen Aufenthalt in der kleinen Stadt, die selbst bei Regen mit ihren weiß, grau oder beige getünchten Häusern mit den farbig abgesetzten Fenster- und Türrahmen sehr hübsch anzusehen war. Die eigenwillig geformte Rundkirche und die Destillerie lohnten vielleicht einen Besuch, doch der Anruf hatte Vorrang. Ich trat ins Freie und lief zielstrebig zu einer Zelle direkt gegenüber dem Fremdenverkehrsbüro.
In diesen modernen Telefonzellen gibt es keine der kleinen, durch Sprossen geteilte Scheiben mehr, die einen teilweise vor dem Blick der Passanten schützen, und so stellte ich den auseinandergefalteten Stadtplan aus der Touristeninformation auf, um den Anschein zu erwecken, ich riefe bei einer der Firmen an, deren Anzeigen sich rund um den Kartenrand aneinanderreihten.
Ich wählte die Nummer von Gerrys Büro auf der abhörsicheren Leitung, nannte das Passwort und behielt, während ich durchgestellt wurde, meine Umgebung im Auge. Nichts Besonderes – vor dem Eingang der Destillerie von Bowmore scharte sich eine kleine Gruppe, und im Hafen war ein weißes Boot vertäut.
Gerry meldete sich in der Leitung: »Fortschritte,
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