Das Geheimnis von Islay Island
Deborah?«
Wie immer gleich zur Sache, keine Zeit für ein paar nette Worte.
Damit mir von draußen nicht irgendjemand von den Lippen lesen konnte, kehrte ich der Straße den Rücken. Ich überlasse die Dinge nie dem Zufall. »Ich habe etwas über meinen Arbeitgeber mitzuteilen«, sagte ich und gab wieder, was ich von Ann-Marie gehört hatte, »und ich glaube, dass diese Gereiztheit, die er erst seit einiger Zeit an den Tag legt, von Bedeutung ist.«
Kein Kommentar von ihm, sondern nur ein knappes: »Sonst noch was zu berichten?«
Ein bisschen mehr hätte es schon sein dürfen, so etwa in der Art: »Interessant, Deborah. In der Tat bemerkenswert.«
»Na ja«, sagte ich leicht näselnd, »das gesamte Personal hat gekündigt, und alle zugleich.«
Ein verhaltenes Brummen, dann Schweigen.
Ich betrachtete nachdenklich mein Spiegelbild im Glas der Zelle. »Es gibt etwas, das Sie mir verschweigen, Gerry, stimmt’s?«
Keine Antwort. Ich strengte mich nicht einmal an, mir den Ärger nicht anmerken zu lassen. »Sie wussten schon von der Sache mit den Angestellten, hab ich Recht?«
»Nicht bis zu Ihrer Abreise nach Islay«, versuchte er, mich zu beschwichtigen.
Wenn Gerry keine Mühe scheute, um mich zu besänftigen, konnte das nur eines bedeuten: Er wusste etwas, das ich nicht gerne hören würde.
Ich sah einen Mann, der den Bürgersteig entlang in meine Richtung kam. Ein paar Meter von der Bushaltestelle entfernt blieb er stehen, um die Fahrpläne zu studieren.
Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich erhob die Stimme, so dass mich der Mann, falls er lauschte, verstehen konnte. »Dann bieten Sie also Hebriden-Glas-Workshops an? Können Sie mir sagen, wann die stattfinden?« Der Mann steuerte nun wieder auf die Telefonzelle zu und hielt kurz vor ihr inne, als wartete er darauf, dass ich sie freigab. Ich hielt die Finger einer Hand hoch, um ihm zu zeigen, wie lange ich voraussichtlich noch brauchte, und führte dann mein Scheintelefonat fort. »Ja, das würde mir gut passen. Was genau unterrichten Sie in den Workshops?«
Der Mann räumte das Feld.
»Okay, Gerry, ich kann jetzt wieder reden. Sie verheimlichen mir etwas, richtig?«
Das Schweigen, bevor er endlich etwas sagte, bestätigte meinen Verdacht, doch er sagte nur: »Mutmaßen Sie nicht, Deborah. Wenn Sie etwas wissen müssen, werden Sie es von mir erfahren.« Er legte auf.
Lügner. Er verschwieg mir etwas. Und egal, worum es sich handelte, es würde mir nicht schmecken.
6
I ch stand am Kai des kleinen Hafens von Bowmore und starrte auf die kleinen Boote und die Regentropfen, die ins graue Wasser prasselten, ein Anblick, der zu meiner Stimmung passte. Unter der Oberfläche schwebte etwas großes Dunkles, das schwer auszumachen war – genau wie die Vorgänge auf Allt an Damh . Nach dem Telefonat ahnte ich Schlimmes.
Die weiße Mauer der Brennerei von Bowmore lag links vom Hafen mit Blick über die Küste. Islay, die Insel der Whisky-Destillerien – Ardbeg, Lagavulin, Laphroaig, Bunnahabhain, Caol Ila, Bowmore, Kilchoman, Bruichladdich … ich ließ mir die Namen auf der Zunge zergehen. Spielte die Destillerie von Sir Thomas, Sròn Dubh, vielleicht in Morans Plänen eine Rolle? Er würde bald auf der Bildfläche erscheinen, und für den Fall fehlte mir noch immer ein Fluchtplan. Ich würde mich an die Arbeit machen, sobald ich zurück war.
Als ich Allt an Damh wieder erreichte, hatte der Regen aufgehört, und einige schwache Sonnenstrahlen kämpften sich durch die Wolken. Von Gorgonzola war weit und breit nichts zu sehen, doch ich zweifelte nicht daran, dass sie mich beobachtete und sich zu mir gesellen würde, sobald ihr danach war. Ich blieb im Wagen sitzen und studierte die Generalstabskarte. Ein Feldweg führte durch den Wald fast bis zum Strand. Den sollte ich mir einmal ansehen, denn man würde sicher nicht damit rechnen, dass ich so dicht am Haus abtauchte.
Zehn Minuten später stapfte ich in dem kleinen Buchenwäldchen durch zusammengetriebene trockene Blätter und genoss das Rascheln unter den Füßen. Am anderen Ende des Waldes gelangte ich auf eine kleine, von Gestrüpp, Farn und Heide bedeckte Erhebung. Die kleine Hügelkuppe verstellte mir die Sicht auf die See, doch ich hörte das leise Schlagen der Wellen an der Küste. Hier verlief sich der Weg. Ich machte mich gerade daran, über die Kuppe zu laufen, als hinter mir jemand rief.
»Hallo-o«, und noch einmal: »Hallo-o …«
Ich wirbelte herum und sah, wie mir vom Waldrand aus
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