Das Geheimnis von Islay Island
müssen.
Ich schob die Tür behutsam auf und verstellte den Spalt zugleich mit dem Bein, um Gorgonzola an einem erneuten Satz in die seligen Jagdgründe der Rhododendronbüsche oder gar Sir Thomas’ Küche zu hindern. Ein Blick durch den schmalen Spalt zeigte mir, dass meine Vorsichtsmaßnahme überflüssig war. Gorgonzola war nirgends zu sehen. Ich trat schnell ein und schloss die Tür hinter mir.
Auch Gorgonzola hatte eine Einschätzung der Lage vorgenommen. Das langsame Türöffnen hatte ihr deutlich gemacht, dass Strategie Nummer eins, der Überraschungsvorstoß, wenig Aussicht auf Erfolg bot. Also hatte sie sich für Strategie Nummer zwei, nämlich moralische Erpressung, entschieden. In der Kochnische lag hingestreckt eine haarige Gestalt neben dem leeren Teller, den ich für ihr Fressen dorthin gestellt hatte. Sie gab ein mitleiderregendes, kaum hörbares Miauen von sich – das letzte Lebenszeichen eines vom Hunger so geschwächten Tiers, dass es den Kopf nicht mehr heben konnte.
»Tolle Leistung, Mieze, ich nominier dich für einen Oskar.« Ich nahm den Teller und öffnete eine Dose Lachs aus meinem Vorrat im Schrank. Als ich mich umdrehte, saß sie, den Schwanz um die Pfoten gelegt, mit wachem, gierigem Blick hinter mir.
Ich hielt die Dose hoch. »Das hier ist Lachs, Lachs für Menschen, nicht dein übliches Feinschmecker-Katzenfutter, aber es ist zwecklos, sich zu beschweren. Nach deinem Küchenüberfall können wir dich nicht mehr als streunende Katze ausgeben, die sich bei der Beseitigung von Ungeziefer nützlich macht.«
Ich löffelte den Fisch auf den Teller und zerkleinerte ihn mit einer Gabel. »Dir ist schon klar, dass das hier eine Belohnung ist, weil du dich zusammengerissen und weder die Gardinen zerfetzt noch die Möbel zerkratzt hast? Das heißt nicht, hörst du, ganz und gar nicht, dass ich deinen Küchendiebstahl billige.«
Während ich ihr beim Fressen zusah, wurde mir bewusst, dass ich ein Risiko eingegangen war, als ich sie am Morgen hiergelassen hatte. Diesen Fehler sollte ich nicht wiederholen. Wäre jemand gekommen und hätte das Cottage durchsucht, hätte er Gorgonzola sofort gefunden. Zweifellos war es sicherer, sie frei herumlaufen zu lassen.
Allerdings musste ich zuerst Waddington davon überzeugen, dass es nicht nötig war, irgendwelche Fallen aufzustellen. Als Gorgonzola eben den sterbenden Schwan gegeben hatte, war mir eine Idee gekommen, wie ich seine Pläne durchkreuzen konnte. Ich würde ihm erzählen, ich sei irgendwo bei einem Spaziergang über das Gelände – natürlich würde ich mich nicht erinnern, wo – auf den Kadaver der Wildkatze gestoßen.
Ich legte ihr sacht die Hände um den kleinen Kopf. »Es kommt allerdings entscheidend darauf an, dass du dich nicht blicken lässt, verstehst du? Du darfst auf keinen Fall noch einmal in die Nähe des großen Hauses gehen.«
Sie starrte mich mit weit geöffneten Kupferaugen an, dann zog sie sacht den Kopf zurück und stieß ihn erneut beherzt in ihren Teller.
In der Hoffnung, Waddington rechtzeitig abzufangen, bevor er mit dem Wildhüter des Nachbaranwesens sprach, setzte ich meinen Plan sofort in die Tat um. Doch leider entwickelten sich die Dinge anders …
Ich griff zum Telefon, dessen Leitung ins Haupthaus führte, und sagte, als Waddington sich meldete: »Ich wollte nur fragen, ob Sir Thomas oder Ms Robillard Post haben, die sie gerne nach Bowmore schicken wollen, da ich über Mittag rüberfahren und mich ein bisschen umsehen will.«
Kurz angebunden bekam ich zur Antwort: » Ich kümmere mich um alle Aspekte von Sir Thomas’ Schriftverkehr, Dorward. Und Ms Robillard unterhält keinerlei Korrespondenz.«
Damit konnte ich leben. Ich hatte nichts anderes erwartet. Das war der geeignete Moment, um meine »Entdeckung« der toten Wildkatze zu erwähnen.
»Freut mich sehr zu hören, Dorward.« Als ich schon erleichtert aufatmete, fügte er hinzu: »Aber, um es noch einmal mit Shakespeare zu sagen … machen wir doppelt sicher Sicherheit, nicht wahr? Könnte eine ganze Familie von den Viechern da draußen leben, vermehren sich, glaube ich, wie die Karnickel. Ich sag Ramsay Bescheid, dass er morgen rund ums Haus ein paar Tellereisen und Schlingen aufstellen soll.«
Ich war machtlos. Gorgonzola befand sich mehr denn je in Lebensgefahr. Wenigstens war sie für heute sicher, und so ließ ich sie ins Gebüsch hinaus, bevor ich mich auf den Weg nach Bowmore machte.
Als das Tor hinter mir langsam zuging, platschten die
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