Das Geheimnis von Islay Island
Seitenblick zu. »Schön für denjenigen, der den Abend freibekommt, nicht wahr?«
»Du meinst, ihr hattet nicht frei?«, fragte ich und vermied es, den Koch direkt anzusehen.
Er gab mir eine weitere Portion Porridge in meine Schale. »Wie man’s nimmt«, antwortete er ausweichend.
»Aber wenn sie doch zum Essen eingeladen waren, mussten sie …?«
Der Koch lächelte süßsäuerlich. »Als der kleine Mistkerrrl stammelte, Sir Thomas hätte mir für den Abend freigegeben, schien er zu glauben, er täte mir einen Gefallen.«
Ann-Marie kicherte. »Roddy ist mal wieder ausgerastet, als Waddington ihm eröffnete, das Essen, an dem er stundenlang gearbeitet hatte, würde nicht benötigt. ›Vier Uhr!‹, hat er so laut gebrüllt, dass Waddington vor Schreck einen Satz nach hinten gemacht hat. ›Vier Uhr! Früher ist Ihnen das nicht eingefallen? Ich schufte seit Stunden für dieses Essen, nur damit Sie daherkommen und mir sagen, ich hätte meine Zeit vertan, alles umsonst?‹ Das ist, als würdest du bei einem Künstler ein Gemälde in Auftrag geben, und wenn es dann halb fertig ist, erklären, es hätte sich erledigt. Er hat seine Zeit und außerdem die ganzen Zutaten vergeudet«, sagte sie aufrichtig empört. »Roddy kocht wie ein Künstler, stimmt’s, Roddy? Ist also verständlich, wenn er einen Wutanfall bekommt, oder? Und plötzlich greift er zum Fleischklopfer und lässt ihn« – bei der Erinnerung daran bekam sie vor Aufregung große Augen – »auf eine von diesen großen Tomaten niedergehen, so dass sie Waddington komplett über das weiße Hemd gespritzt ist. Damit war er ihn los, der konnte gar nicht schnell genug aus der Küche rauskommen.«
»Und« – inzwischen quiekste sie vor Vergnügen – »als wär das nicht genug, summt eine halbe Stunde später das Haustelefon, und Waddington sagt in diesem hochnäsigen Ton: ›Sir Thomas hat es sich anders überlegt. Er wird den Abend doch zuhause verbringen. Sagen Sie dem Koch, dass es also beim Abendessen bleibt.‹ Und bevor ich antworten konnte: ›Sagen Sie ihm das doch selbst‹, legt er auf. Ich geb ja zu, dass ich Angst hatte, es Roddy zu sagen, aber als ich es ihm dann eröffnet hatte, lachte er nur und sagte: ›Dann kriegen sie heute Abend eben nur einen Gang vorgesetzt. Du kannst ihnen sagen, ich hätte die Nachricht zu spät bekommen und schon alles weggeschmissen.‹«
»Hatten Sie aber nicht?«, fragte ich.
»Natürlich nicht. War alles im Kühlschrank. Auf diese Weise kann ich heute die Füße hochlegen.« Er zwinkerte. »Und so komme ich auch noch zu meinem freien Abend.«
Demnach hatte mir Waddington das Tor geöffnet. Wieso hatte er mich dann in dem Glauben gelassen, es wäre der Koch gewesen?
»Später sind sie dann doch noch ausgegangen«, sagte Ann-Marie, »kurz nach zehn. Vielleicht wollten sie irgendwo Fisch zu Abend essen. Freitags ist ›Nippy Chippy‹, der mobile Fish-’n’-Chips-Imbiss, in Port Ellen. Ich wusste, dass sie weggegangen waren, weil die Autoscheinwerfer ins Zimmer leuchteten, als Roddy und ich gerade ferngesehen haben. Gestern Abend konnten wir zum ersten Mal, seit wir hier sind, wieder unsere Lieblingsserie anschauen.« Anschließend erging sie sich in einer endlosen Aufzählung von Katastrophen, die Figuren widerfuhren, von denen ich noch nie gehört hatte.
Ich war zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt und schaltete bald ab. Konnte es sein, dass Sir Thomas’ plötzlicher Sinneswandel über seinen abendlichen Ausgang damit zusammenhing, dass ich Waddington erzählt hatte, ich wollte nach Port Ellen? Außerdem hatte er mich gedrängt, bis zehn Uhr zurück zu sein … war es von Bedeutung, dass jemand Allt an Damh erst nach meiner Rückkehr verlassen hatte?
»Na, was sagst du?« Ann-Marie sah mich erwartungsvoll an.
Ich suchte nach Worten, die den dramatischen Szenen einer Fernseh-Soap gerecht wurden. »Wie schrecklich !«, rief ich.
Das rhythmische Klicken des Schneebesens hinter mir hörte jäh auf.
»Und was ist bitte schön so schrecklich daran, dass Roddy mir einen Geburtstagskuchen bäckt?« Sie sprang auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Nein, nein, nein«, beeilte ich mich, den Fehler wiedergutzumachen. »Du hast mich missverstanden. Ich meinte nur, dass ich keine Ahnung von deinem Geburtstag hatte; ich habe gar kein Geschenk für dich.«
Das rhythmische Klicken setzte wieder ein.
»Ach so.« Sie setzte sich wieder. »Ist ja erst nächste Woche, genügend Zeit, noch was zu
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