Das Geheimnis von Islay Island
Gebüsch, das vom nächtlichen Regen und den verstreuten nassen Blättern glitschig war. Ich bewegte mich leise, doch vom Küstenstreifen flog ein langbeiniger Austernfischer hoch und schickte seinen schrillen Warnruf übers Wasser, während eine aufgescheuchte Ente mit ihrem bunten Gefieder erschrocken zur anderen Seite der Bucht flatterte. Ich stand auf dem schmalen Sandstreifen und suchte den Meeresrand ab. Im Wasser, das träge an die Felsen schwappte, schaukelten die fransigen Klumpen aus olivbraunem Seetang, und die Spuren, die ein Seeotter mit seinen Flossen hinterlassen hatte, wurden aufgeweicht. Von den Tieren selbst oder ihrem Beobachter war weit und breit nichts zu sehen.
Enttäuscht lief ich am Küstenstreifen entlang zurück zu der Feldsteinmauer und bemerkte zum ersten Mal, wie eigenartig sie aufgestapelt war. Durch große Lücken zwischen den Steinen fielen helle Tupfen Licht, so dass das Ganze an eine Decke aus Chenille erinnerte, die ohne Sorgfalt mit Riesenstricknadeln gefertigt worden und von fallen gelassenen Maschen voller Löcher war.
Hinter einer dieser Lücken verstellte etwas Dunkles das Licht. Auf einmal hatte ich das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Konnte Waddington mir vom Cottage aus hierher gefolgt sein und hinter der Mauer lauern? Er hatte mich gewarnt, aus Rücksicht auf die anglonubische Ziege dieses Gebiet nicht zu betreten, doch falls er mich zur Rede stellte, würde ich einfach sagen, bevor ich hier heruntergekommen sei, habe es weit und breit keine Ziegen gegeben, weder anglonubische noch sonst eine Art, davon hätte ich mich überzeugt. Wieder starrte ich auf die Mauer. Die Entdeckung von Winstanleys Leiche gestern Abend sollte mich nicht dazu verleiten, auf einmal Gespenster zu sehen, wo sich vielleicht doch nur ein Schaf oder eine Ziege verlaufen hatte.
Das Dunkle bewegte sich, und durch die Lücke schien wieder Licht, dann erhob sich langsam ein zerbeulter Filzhut über die Mauer. Sandy Duncan schien über meinen Anblick alles andere als erfreut.
Die blauen Augen sahen mich frostig an. »Blinder Eifer schadet nur.«
»Äh, wie …?«, fragte ich ein bisschen verwirrt.
»Sie haben mir die Videoaufnahme vermasselt, für die ich seit Wochen auf der Lauer liege.«
Oje. Schuldbewusst dachte ich an die frische Otterspur im Sand. »Tut mir leid, daran habe ich nicht gedacht.«
»Das ist das Problem mit der Jugend von heute, sie denkt nicht nach.«
Mit steifen Gliedern erhob er sich aus der Hocke. »Ich nehme mal an, Sie kommen, um mir etwas zu sagen, ich kann nur hoffen, dass es was Gutes ist.«
»Mord«, sagte ich. »Jemand wurde ermordet. Ist das gut genug?«
Er blieb einen Moment stehen, legte den Kopf schief und überlegte, dann räumte er widerstrebend ein: »Ja, wahrscheinlich ist das gut genug. Wen haben Sie auf dem Gewissen?«
»So ungern ich Sie enttäusche, Sandy, aber Sie haben keine Mörderin vor sich. Jemand ist zu Tode gekommen, aber nicht durch meine Hand.« Ich erzählte ihm in wenigen Worten, wo ich die Leiche gefunden hatte. »Der Mann kam nach Allt an Damh und beging den Fehler, sich wegen fehlender Whiskyfässer mit Sir Thomas anzulegen.«
»Ein fataler Irrtum, könnte man sagen, was? Da brauch ich keinen Sherlock Holmes, um zu sagen, wer’s gewesen ist.« Er lehnte sich an die Mauer und strich sich nachdenklich den Bart. »Neben der Kirche von Kildalton, sagen Sie … das Land gehört schon ewig den McIntyres. Er wird die Muscheln als Füllmaterial für Senkgruben benutzen, fördert das Pflanzenwachstum.«
»Und das ist noch nicht alles, was ich Ihnen sagen muss. Gestern ist noch etwas passiert.«
»Lassen Sie mich raten …« Er runzelte die Stirn, als dächte er angestrengt nach. »Wenn ich es treffe, bringt mir das eine Flasche zehn Jahre alten Ardbeg ein?«
»Abgemacht«, sagte ich. Das Geld Ihrer Majestät Zollamt war hier gut angelegt.
Er nahm den Hut ab, musterte ihn eingehend und sagte bedächtig, als läse er die Antwort vom Schweißband ab: »Was Sie mir erzählen wollen, hat mit den Drogen und dem Schuppen zu tun, oder vielmehr, mit den Drogen, die in dem Schuppen waren, stimmt’s?« Ich nickte, und nachdem ihm die Flasche sicher war, tat er nicht länger so, als habe er nur zufällig richtig geraten. »Vor zwei Nächten war hier einiges los.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung der nächsten Bucht. »Eine ziemlich lange Prozession von Leuten mit Taschenlampen. Sie trugen Sachen aus dem Schuppen und verluden sie auf ein
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