Das Geheimnis von Islay Island
Filzhut.
»Sie sehen ganz schön mitgenommen aus, Mädel.« Er erhob sich und kam hinter einem Schutzwall aus Moos, Blättern und abgebrochenen Zweigen hervor. Statt seines Huts hatte er eine aus der Böschung gerissene Sode mit Farnkraut auf dem Kopf.
»Haben mich nicht gesehen, stimmt’s? Hat noch immer funktioniert. Bringt alte Erinnerungen an den Krieg hoch – gute wie schlechte.« Er setzte die Sode mit der Sorgfalt eines Golfspielers, der ein Divot auf dem Rasen wiedereinfügt, an die kahle Stelle der Böschung zurück.
»Ich dachte, Sie wären schon weg.« Die Tränen flossen nun hemmungslos, aber das war mir egal.
Er zog ein großes khakifarbenes Taschentuch heraus und bot es mir an. Ich nahm es, schnäuzte mich und sagte mit dem leisen Anflug eines Lächelns: »Nichts wie weg hier. Ich verschwinde von Islay.«
»Dieser Schuss heute früh, hatte das irgendwas mit Ihnen zu tun?« Als ich nicht antwortete, sah er mich nachdenklich an und nickte. »Operation beendet, was?«
»Ich hab Ihren Wagen nicht gesehen und –« Ich spürte, wie meine Stimme wegbrach und schluckte mühsam.
»Deshalb hab ich meinen Hut hier hingehängt. Sehen Sie, dieser Pfad ist gut genug für ein Quadbike oder einen Anhänger, aber nichts für ein Auto, wenn einem die Federung lieb und teuer ist.« Er nahm seinen Hut vom Baum. »Gehen wir. Ich hab eine Thermoskanne im Wagen. Sie sehen aus, als könnten Sie eine Tasse guten, starken Armeetee gebrauchen.«
Schweigend liefen wir den Weg entlang. Ich rang mit mir, wie viel ich ihm erzählen sollte, und er war offenbar so taktvoll, mich nicht zu drängen. Ich merkte, wie er mir verstohlene Seitenblicke zuwarf, doch erst, als wir seinen Wagen erreichten, sprach er aus, was ihm unter den Nägeln brannte.
»Sie haben die ganze Zeit den Kopf wie ein nervöses Erdmännchen hin und her geworfen. Sie sind in Alarmbereitschaft. Ist es wegen dieses Waddington?«
»Waddington ist tot.« Es hatte sachlich und ausdruckslos klingen sollen. Falls er mitbekommen hatte, dass meine Stimme wackelig klang, so gab er es nicht zu erkennen, sondern nickte nur, als käme die Nachricht nicht unerwartet – und würde auch kein besonderes Bedauern verursachen.
Ich mied seinen Blick und zog den Reißverschluss des Rucksacks auf. »Gorgonzola ist hier schon viel zu lange eingesperrt.«
Gorgonzola sah mich mit vorwurfsvollem Blick an. Ich blieb im Wagen sitzen und hob sie mir auf die Knie. »Schon gut, Mieze, schon gut.« In langen Bewegungen strich ich ihr über den Rücken. »Du bist ein braves Mädchen gewesen, ein sehr braves Mädchen.«
Ich drehte mich zu Sandy um. »Ich glaube, wir sollten besser –«
Sie zappelte und wand sich. Sekunden zu spät packte ich – ins Leere. Gorgonzola war aus dem Wagen gesprungen und irgendwo im hohen Gras verschwunden. In der Hoffnung, dass ihre Erziehung über die Versuchung siegte, kramte ich in der Außentasche des Rucksacks nach der Ultraschallpfeife. Die Hoffnung trog. Für eine hungrige Katze waren diese bewaldeten Hügel mit ihrer Fauna ein Feinkostladen. Anhand der durchdringenden Warnrufe aufgeschreckter Vögel konnte ich ihre Route verfolgen, die sie unaufhaltsam ins Dickicht führte.
»Wie’s aussieht, ist sie desertiert und kommt so schnell nicht wieder«, ulkte Sandy. Als er die Tränen in meinen Augen sah, verging ihm das Lächeln. »Machen Sie sich nichts draus, Mädel. Die kommt schon zurück, selbst wenn es ein, zwei Stunden dauert. Abwarten und Tee trinken, heißt die Devise.«
»Aber das geht nicht. Er kann jeden Moment hier sein. Er hat Waddington umgebracht, und jetzt ist er hinter mir her.« Meine Stimme überschlug sich, als ich versuchte, ihm die Situation klarzumachen. »Er kann jeden Moment von der Bucht hier raufkommen und plötzlich hinter uns auf dem Weg auftauchen und –«
»Immer mit der Ruhe, Mädel.« Er packte mich an den Schultern und schüttelte mich sachte. »Damit wir uns richtig verstehen. Dieser Mörder, wer zum Teufel ist das? Ich kann keine Ausweichmanöver machen, solange ich nicht –«
»Mo–, Cameron-Blaik, es ist Cameron-Blaik. Verstehen Sie denn nicht? Wenn er mich mit Ihnen zusammen sieht, erschießt er uns beide. Wir müssen auf der Stelle los.« Ihm jetzt noch die Nummer mit der falschen Identität zu erklären, wäre einfach zu kompliziert gewesen.
»Cameron-Blaik?« Ich sah, dass ihn die Sache interessierte, doch er sagte nur: »Sie leiden an Frontkoller, Sie können nicht mehr klar denken. Kriegsneurose
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