Das Geheimnis von Islay Island
die Hauptstraße erreicht hatte, blieb mir daher genügend Zeit, mir die nächsten Schritte zu überlegen. Port Ellen und seine Telefonzellen waren bedeutend näher als Sandys Cottage auf Oa, doch das Risiko, unterwegs einem von Morans Schlägern zu begegnen, war zu groß. Sandy würde mich nach Bowmore bringen, und von dort aus würde ich mit Gerry telefonieren. Da die Überfahrt mit der Fähre zweieinhalb Stunden dauerte, bliebe meiner Dienststelle genügend Zeit, einen Einsatz zu organisieren, bei dem die Transporter mit ihrer Ladung Fässer bei ihrer Ankunft in Kennacraig abgefangen wurden. Moran wäre mit ziemlicher Sicherheit an Bord, um den Whisky im Auge zu behalten. Also würden wir auch ihn zu fassen bekommen.
Wegen der pochenden Schmerzen in meinem Knöchel wurde der einstündige Umweg querfeldein mühsamer als erwartet, und beim Anblick des Metalltörchens in der Feldsteinmauer von Sandys Cottage atmete ich erleichtert auf. Unterwegs hatte ich überlegt, was er wohl getan hatte, als ich von meinem kurzen Spaziergang nicht zurückgekommen war. Mit Sicherheit hatte er sich Sorgen gemacht. Oder hatte er sich gedacht, dass ich bei meinem Telefonat Anweisungen erhalten hatte und zu irgendeiner geheimen Mission aufgebrochen war? Ja, vermutlich. Er hätte Gorgonzola angesehen, die auf seinen Knien döste, und sich gedacht, dass ich schon ihretwegen wiederkommen würde. Und was Gorgonzola betraf, so hatte sie sich in typisch gewiefter Katzenmanier schon vor meinem Aufbruch häuslich eingerichtet, mit allem Komfort.
Ich lehnte das Fahrrad an die Mauer, öffnete die Schnalle des Helms und hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl. Am Ende des Tunnels, den die Zweige der Buchen bildeten, döste der Giebel des Cottage in der Spätnachmittagssonne. Ein friedlicher Anblick, doch irgendetwas stimmte nicht.
Inzwischen würde Moran entdeckt haben, dass ich aus dem verbretterten Gärtnercottage ausgebrochen war. Möglicherweise hatte er Eddie und Len geschickt, damit sie mir hier auflauerten. Die Hand am Tor, blieb ich unschlüssig stehen. Würde ich auf diesem trügerischen Teppich aus knisterndem Buchenmast geradewegs in die Falle tappen? Wahrscheinlich war ich nur zu erschöpft und sah Gespenster. Morans Schläger waren noch in der Brennerei und luden Fässer auf. Was konnte mir hier also passieren? Nichtsdestotrotz nehme ich meinen sechsten Sinn immer ernst, da er mir mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Ohne den Helm abzusetzen, lief ich weiter.
19
I ch öffnete das Tor und betrat den Weg. Die zarte Rauchfahne, die aus dem Schornstein wehte, zeigte, dass Sandy zuhause war. In wenigen Minuten würde ich, die schnurrende Gorgonzola auf den Knien, am Feuer sitzen, mir einen Teller Hasenragout schmecken lassen und Sandy alles erzählen – na ja, alles natürlich nicht.
Wie sich zeigen sollte, war der Helm doch keine so gute Idee gewesen. Mein Versuch, damit meinem mulmigen Gefühl Rechnung zu tragen, erwies sich als kolossaler Fehler. So nämlich hörte ich die Schritte hinter mir nicht, war nicht auf den heftigen Schlag zwischen die Schultern gefasst, der mich zu Boden schleuderte. Ein schwerer Körper plumpste auf mich und schnürte mir die Luft ab. Mir wurden im Rücken die Arme verdreht, dann riss mich jemand unsanft hoch.
Ich hatte Moran unterschätzt. Mich wiedereinzufangen war ihm offenbar wichtiger gewesen als das Verladen der Fässer. Während ich mit dem Mountainbike querfeldein geradelt war, hatten Eddie und Len sich ausgerechnet, dass ich wieder zu den Singing Sands zurückkehren würde, wo sie mich das erste Mal gefunden hatten. Natürlich hatten sie jede Menge Zeit gehabt, zum Cottage zu fahren und sich dort auf die Lauer zu legen.
»Wen haben wir denn da?« Ich konnte den Mann, der mich im eisernen Griff hatte, nicht sehen, doch es war nicht Eddies Stimme … und auch nicht Lens … oder Ricks. Ich war selbstverständlich davon ausgegangen, dass Moran nur diese drei Handlanger hatte: die in der Brennerei. Mutmaßungen, schon wieder, diesmal mit fatalen Folgen.
Eine Hand riss mir grob den Helm vom Kopf. Ein Mann in schwarzer Uniform sah mich an. »Diese Beule an Ihrem Kopf und der Bluterguss so grün und blau wie eine Karte von Irland sagen mir, dass Ihnen schon jemand anders eine übergezogen hat, wie?«
In einem geschwärzten Gesicht grinsten mir weiße Zähne entgegen. »Das könnte die sein, nach der wir suchen, Jim. Mittleres Alter, dunkles Haar, weiblich. Die Beule und den Bluterguss hat er
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