Das Geheimnis von Islay Island
eine Herausforderung, ein Feind, den man entweder austrickste oder, falls er klein genug war, direkt angriff. Die ganze Nacht hatte sie eingerollt mitten auf meinem Bett gelegen, während ich mit dem Fernglas am Fenster saß. Sie gähnte. Das genüssliche Dehnen zuerst eines Beins, dann des anderen zeigte, dass sie – meine Gratulation – in der Nacht prächtig geschlafen hatte und voller Tatendrang war. Ein Hund sollte verjagt werden? Da war sie dabei. Ich nahm sie hoch, küsste sie und flüsterte ihr in das aufmerksam aufgestellte Ohr:
»Er behandelt mich, Mieze, als hätte mein Fehler in Bezug auf das Boot Moran die Flucht mit alldem Whisky ermöglicht, weil sich die Zollfahndung ganz auf die Fähre konzentriert hat.«
Meine Hand hielt mitten im Streicheln ihres weichen Fells inne. Moran war nicht an Bord der Fähre gewesen, als sie anlegte, aber ebenso wenig die Transporter mit dem Whisky. Doch nirgends war in dem Bericht über den Brand in der Brennerei die Entdeckung von zwei ausgebrannten Fahrzeugen erwähnt gewesen, folglich waren die beiden Lieferwagen, die Morans Leute mit den Fässern beladen hatten, nicht in Flammen aufgegangen.
Gerrys scharfer Verstand hatte dieses wichtige Detail übersehen. Als die Fähre andockte, hatte er sich zu sehr darauf konzentriert, dass ihm Moran durch die Lappen gegangen und seine monatelange Vorbereitung somit umsonst gewesen war.
»Daher, Gorgonzola, bin ich mir sicher, dass der Whisky auf Islay an Bord eines Boots gebracht worden ist, nämlich in der ›Drogen rein, Whisky raus‹-Bucht von Allt an Damh .«
Gorgonzola zeigte mir mit einem Gähnen, dass sie von meinen äußerst scharfsinnigen Überlegungen kein bisschen beeindruckt war, sondern setzte, indem sie sich mir aus den Armen wand, andere Prioritäten, nämlich das Frühstück, das sich über unserem Gespräch unnötig verzögerte. Seit wir wieder in die Pension eingezogen waren, hatte Gorgonzola mein Frühstücksangebot in einer Untertasse verschmäht. Stattdessen zog sie es vor, sich ihre Mahlzeit selbst zu »jagen«, indem sie einen graziösen Limbo unter dem Schiebefenster vollführte, dann gekonnt auf das Dach des Anbaus sprang, sicheren Fußes den Fliederbusch zum Vorgarten hinunterstieg und schließlich einen appetitanregenden Spaziergang zur Küche absolvierte, wo sie mit ihrem unwiderstehlichen Miau die Galbraiths schnell genau da hatte, wo sie die beiden haben wollte.
Ich schob das Fenster hoch und sah ihr hinterher, bevor ich selbst auf konventionellerem Wege zum Frühstück hinunterging. Während ich aß, dachte ich an den verschwundenen Whisky. Ich teilte Gerrys Ansicht, dass Moran die kostbaren Tropfen nicht aus den Augen gelassen hätte … Konnte es also sein, dass er gar nicht tot war, sondern einen seiner Männer ermordet und dem Toten anschließend die Kontaktlinsen in die Augen eingesetzt sowie den Ring über den Finger gezogen hatte? Mit anderen Worten: Hatte der Meister der Verkleidung sein Bravourstück abgeliefert und sich als Leiche maskiert? Das passte perfekt zu Louis Morans Modus Operandi. Es leuchtete ganz und gar ein.
Gerry hatte angenommen, Moran sei tot, doch ich war vom Gegenteil überzeugt. Als ich mein Frühstück aufgegessen hatte, fühlte ich mich bedeutend besser: Ich war nicht die Einzige, die falsche Vermutungen anstellte.
Und was sollte ich nun tun? Wie sollte ich meinem Chef taktvoll zu verstehen geben, dass er sich einen Patzer geleistet hatte? In so einer Situation würden die meisten Chefs in Rage geraten, einem das Wort abschneiden oder es schlichtweg ablehnen, zuzuhören. Gerry Burnside war da anders. Er würde das, was ich zu sagen hatte, nicht als bloße Spekulation abtun, um seinen eigenen Irrtum zu verbrämen. Er würde mich anhören, meine Theorie unvoreingenommen durchdenken und, falls sie ihn überzeugte, entsprechend handeln.
Er sollte Edinburgh am Nachmittag mit dem Flugzeug verlassen. Ich ging in mein Zimmer hoch, rief auf der abhörsicheren Leitung in seinem Büro an und bat darum, mich zu ihm durchzustellen.
»Tyler am Apparat.« Die Stimme war kalt, hart und schrecklich vertraut. Andrew Tyler, bei seinen Untergebenen wenig schmeichelhaft als Attila der Hunne bekannt, weil er brutal und ohne jedes Taktgefühl alles vom Tisch fegte, was ihm nicht in den Kram passte. Leider Gottes hatte ich schon bei früheren Gelegenheiten mit seiner gehässigen, ruppigen Art Bekanntschaft gemacht.
»Ich wollte eigentlich Gerry Burnside sprechen«, sagte ich,
Weitere Kostenlose Bücher