Das Geheimnis von Melody House
charmant, aber zu neugierig. Er hatte ihr zugezwinkert und sie gefragt, ob sie ihm nicht vielleicht helfen könnte, seine Manschettenknöpfe wieder zu finden, die er an Weihnachten verlegt hatte. Und Carter löcherte sie mit Fragen nach ihrer Vergangenheit und was für Geheimnisse sie in ihrem Leben schon aufgedeckt hatte.
Darcy war das einfach zu viel, und so hatte sie beschlossen, in der Bibliothek Zuflucht zu suchen. Ein positiver Nebeneffekt davon war, dass sie auf diese Weise noch ein paar Nachforschungen über Amy Claytons Familie anstellen konnte. Sie war sich zwar sicher, dass die Leute in der Gegend wussten, wo sich das Familiengrab befand, aber sie zog es vor, in der Stille der Bibliothek nach Informationen zu suchen.
Als sie dort ankam, sah sie Mrs. O’Hara sofort an, dass diese bereits von ihrem Fund gehört hatte. Um so dankbarer war sie der Bibliothekarin, dass sie lediglich fragte, ob sie denn heute eine Tasse Tee wolle, und ihr, als hätte sie es erraten, genau die Bücher in die Hand drückte, die Darcy brauchte.
“Noch mehr zu diesem Thema finden Sie oben auf der Galerie.” Mrs. O’Hara deutete auf die Treppe.
Darcy nickte dankbar und machte es sich mit ihrer Teetasse sowie den Büchern, die Mrs. O’Hara für sie herausgesucht hatte, in einem der Sessel im Erdgeschoss bequem und begann zu lesen.
Die Familie Clayton, die von Mitte des siebzehnten Jahrhunderts bis zum späten achtzehnten Jahrhundert in der Gegend ansässig war, hatte auf dem Friedhof der christlichen Gemeinde ein Familiengrab. Damit dürfte die Zubettung der Gebeine keine Schwierigkeiten bereiten.
Darcy ließ das Buch sinken und schaute auf die ausladende und wunderschön gearbeitete Holztreppe, wobei ihr erneut auffiel, in welch außergewöhnlichem Gebäude die Bibliothek doch untergebracht war. Darcy stand auf und ging über die schmale Wendeltreppe nach oben. Mit dem Finger fuhr sie die Buchrücken entlang und studierte die Titel. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass es sich fast ausschließlich um Familienchroniken handelte.
Wenig später fiel ihr Blick auf ein Buch ziemlich weit oben im Regal.
Die Stones von Melody House
, hieß es. Darcy stellte sich auf Zehenspitzen und streckte die Hand danach aus, als plötzlich die Dielen unter ihren Füßen nachgaben.
Instinktiv versuchte sie, an dem Bücherregal Halt zu finden, aber sie brach so rasend schnell durch den morschen Holzboden, dass sie es nicht mehr schaffte.
Sie stieß einen Schrei aus, fiel in die Tiefe, bekam jedoch wie durch einen Wunder einen Stützbalken zu fassen, an den sie sich panisch klammerte. Ein stechender Schmerz fuhr ihr in die Schultern, doch es Darcy gelang, sich weiter verzweifelt an dem Träger festzuhalten.
Noch bevor sie begriff, was geschehen war, ertönte ein weiterer Schrei.
Mrs. O’Hara stand starr vor Schreck direkt unter ihr, und erst in diesem Moment wurde Darcy bewusst, dass sie gute vier Meter über dem Erdgeschossboden in der Luft hing.
“Halten Sie durch! Halten Sie durch!” schrie Mrs. O’Hara aufgelöst. “Ich habe die Feuerwehr schon verständigt. Halten Sie durch, meine Liebe, oh mein Gott, halten Sie um Himmels willen durch!”
Darcy biss die Zähne zusammen. Arme und Schultern schmerzten, ihr Körper schien mit jeder Sekunde schwerer zu werden, doch wenn sie jetzt losließ, könnte das ihren Tod bedeuten.
“Ich begreife nicht, wie das passieren konnte!” hörte sie Mrs. O’Hara verzweifelt von unten jammern. “Bitte, bitte … halten Sie durch.”
Darcy schaute nach unten, und sofort wurde ihr schwindelig. Ihre Hände waren schweißnass. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie endgültig abrutschen und in die Tiefe fallen würde. Sie schaute nach oben zu dem klaffenden Loch. Wenn es ihr doch nur gelingen würde, sich in einem Klimmzug auf den Balken zu hieven. Aber sie wusste, dass ihr dazu die Kraft fehlte. Darcy spürte, wie sie mehr und mehr den Halt zu verlieren drohte. Vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte.
“Darcy!”
Das war Matts Stimme! Matt!
“Darcy, ich bin da. Lass einfach los. Ich fange dich auf. Vertrau mir.”
Lass einfach los. Vertrau mir
.
“Darcy, ich stehe unter dir. Lass dich fallen. Dir wird nichts passieren.”
Ihm vertrauen … Das hatte nichts mit Vertrauen zu tun. Sie konnte sich einfach nicht mehr länger festhalten
.
Schreiend fiel sie in die Tiefe, und für einen Sekundenbruchteil sah sie ihren Körper bereits blutüberströmt am Boden liegen.
8. KAPITEL
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