Das Geheimnis von Melody House
Dinge, die er ihr gern gesagt hätte, aber er konnte es nicht. Er hatte Angst vor der Wahrheit, denn in seinem tiefsten Inneren hatte er Angst vor ihr. Allerdings nicht, weil sie elegant und kultiviert und rothaarig war, sondern weil da irgendetwas war …
Irgendetwas, von dem er sich herausgefordert fühlte, das alles, woran er glaubte, in Frage stellte.
Und trotzdem …
“Schon gut, du brauchst nichts zu sagen”, flüsterte sie.
Er spannte sich an.
Im Zimmer zeichneten sich die Konturen der Möbel und ihrer Körper in der Dunkelheit ab. “Ich erwarte nichts von dir”, fügte sie hinzu.
“Darcy …”
“Es ist okay.”
“Darcy …”
“Tu es nicht. Sag nichts”, beschwor sie ihn. “Komm einfach her.”
Darauf zog er sie an sich und hielt sie wortlos fest umschlungen.
Sie wusste, dass sie in dem Traum jemand anderes war.
Die Frau im Zimmer.
Sie spürte die Angst, von der die Fremde eingeholt wurde, als sie ein Geräusch hörte.
Es war ganz in der Nähe. Im Haus.
Die Frau zögerte, richtete sich auf und lauschte in die Dunkelheit.
Das Haus war oft voller Menschen. In dieser Nacht jedoch schien es verlassen. Anfangs war sie froh gewesen, endlich einmal allein zu sein.
Doch jetzt …
Sie stand auf, verließ das Zimmer und ging zum Treppenabsatz, um nach unten ins Erdgeschoss zu schauen. Als ihr Blick auf die Gestalt am Fuß der Treppe fiel, stockte ihr der Atem.
Er hatte das Haus betreten. Das Recht dazu hatte er, in seinen Augen zumindest. Er hatte jedes Recht, während sie überhaupt keine Rechte hatte. Seltsam, so wie jetzt hatte er bereits Dutzende von Malen dagestanden und zu ihr heraufgeschaut. Dann hatte er gelächelt. Und ihr Komplimente gemacht, sich bewundernd über das Licht geäußert, das ihr Gesicht umschmeichelte und in den schimmernden Falten ihres weißseidenen Morgenmantels spielte. Er hatte in ihr ein berauschendes Gefühl von Vorfreude, Glück … Erregung entfacht. Er war so vieles, was ein Mann sein sollte, gut aussehend und sinnlich, und er verstrahlte ein Gefühl von Macht, das immer wieder ihre Lust entfachte.
Aber heute Nacht lächelte er nicht.
Schweigend starrten sie sich einen langen Moment an. Lange.
Und dann …
Dann sah sie, was er bei sich hatte. Was er in seinen Händen hielt. Und die Art, wie er es umfasste … sie wusste, was er damit vorhatte.
Sie wollte schreien, aber es hätte sie sowieso niemand gehört. Dann drängten sich ihr Worte über die Lippen, unzusammenhängende, hilflose Worte, weil sie immer noch nicht glauben wollte, was doch offensichtlich war.
“Du … du hast mich geliebt”, stammelte sie atemlos. “Du musst mich … du musst mich immer noch lieben. Das wirst du nicht tun. Du wirst es doch nicht tun?”
Die letzten Worte flüsterte sie nur noch. Es war ein Flehen. Ein Versuch, alles, was früher zwischen ihnen gewesen war, wieder neu zu beleben. Alles, was sie geteilt hatten.
Er schaute sie unverwandt an und erwiderte nichts.
Dann begann er, die Treppe hinaufzusteigen.
Und sie floh.
In das Zimmer, in dem sie geschrieben hatte, in dem sie sich ihre Rache ausgedacht und schriftlich niedergelegt hatte. Doch als sie die Tür hinter sich zuwerfen wollte, spürte sie ein Gegengewicht von außen. In dem Moment, in dem er in den Raum stürzte, entdeckte sie eine Kupferwärmflasche, die an einem Nagel an der Wand hing. Sie riss sie herunter und schleuderte sie ihm an den Kopf. Er taumelte mit einem Aufschrei zurück.
Sie nutzte die Gelegenheit zur Flucht und rannte an ihm vorbei die Treppe hinunter, wobei sich ihr langer seidener Morgenrock hinter ihr bauschte wie eine weiße Wolke.
Das war das Letzte, was Darcy sah, da sich eine Art schwarzer Nebel über die Bilder legte. Das war ungewöhnlich. Normalerweise waren die Visionen, die Darcy im Traum hatte, kristallklar. Manchmal wachte sie auf, wenn sie verblassten. Und manchmal wachte sie einfach so auf. Vielleicht wollte ihr Instinkt verhindern, dass sie zu viel sah. Oder vielleicht verhinderte es ja auch eine tief sitzende Angst. Sie versuchte, die Vision zurückzuholen, aber sie entglitt ihr, und sie musste es hilflos geschehen lassen. Sie wusste, dass sie aufwachen würde.
Dabei war sie so nah dran zu fühlen … was die Frau gefühlt hatte.
Und plötzlich wurde sie von einer massiven Welle der Angst erfasst. Darcy sprang wie von einer Tarantel gestochen aus dem Bett und rannte schreiend zur Tür. Aus irgendeinem Grund nahm sie an, dass die Tür offen wäre, aber das war ein
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