Das Geheimnis von Mulberry Hall
keinen Mann mehr an sich herangelassen. Sie ist immer noch hübsch und auch jung genug, um ein Leben mit jemand anderem führen zu können. Aber nachdem sie aufs Schändlichste betrogen wurde, nachdem deine werte Großmutter sich …“
„Hör endlich damit auf, Lucan!“, schrie Lexie. „Wie kann man sich nur an all dieser Bitterkeit festklammern? Siehst du nicht, wie zerstörerisch das ist? Ist nicht schon genug Schaden entstanden, auch ohne dass du dich durch diese Sache weiterhin beeinflussen lässt?“
„Wie sollte es denn anders gehen?“, wollte er wissen. „Findest du es nicht zerstörerisch, nur aus fehlgeleitetem Rachedurst mit mir ins Bett zu steigen?“
„Rachedurst?“ Für einen Moment war Lexie sprachlos. War Lucan völlig verrückt geworden? „Was hätte ich davon, mit dir zu schlafen? Was für eine Art Rache wäre das?“
„Woher soll ich das denn wissen? Vielleicht hast du gehofft, ich verliebe mich in dich, und dann hättest du mich gründlich auslachen können. Was weiß ich?“
Jetzt lachte Lexie tatsächlich, aber nicht über Lucan, sondern über die Ironie des Schicksals. Schließlich war sie selbst diejenige, die ihr Herz verloren hatte. „Fünf Minuten in deiner Gesellschaft reichen jeder Frau aus, um genau zu wissen, dass du gar keine Ahnung davon hast, was Liebe ist.“
„Ist das so?“ Plötzlich wurde Lucan ganz still. Er schien sich in den innersten Teil seiner Seele zurückzuziehen.
Nun gab es nicht mehr viel zu sagen. „Es ist an der Zeit, dass ich verschwinde, Lucan.“
„Zurück nach London?“
„Nein. Ich ziehe um in das Cottage meiner Großmutter. Wir wollten uns sowieso treffen, bevor ich wieder weg bin. Später nehme ich dann den Zug in die Stadt.“
„Wie du schon sagtest, du kennst dich mit den Fahrplänen ja bestens aus.“
„Genau.“
Er nickte knapp. „Du wirst mir wohl verzeihen, wenn ich nicht mit auf den Bahnsteig komme, um zum Abschied zu winken?“
Können Herzen wirklich brechen? überlegte Lexie. Denn für sie fühlte es sich gerade so an. Sie musste Lucan mit der Gewissheit zurücklassen, dass er sie verabscheute, es war der blanke Horror.
Sie lächelte matt. „Dir sei verziehen.“
„Ich werde dir allerdings ganz bestimmt nicht vergeben“, entgegnete er hitzig.
Ja, ein Herz konnte brechen, und es tat unendlich weh. „Auf Wiedersehen, Lucan.“ Hoffentlich.
Mit starrem Blick stand er einige Sekunden lang mitten im Raum, dann ergriff er die Flucht.
Lexie blieb allein zurück und ließ ihren Tränen freien Lauf. Es schmerzte, auf diese Weise alles beenden zu müssen.
Nur wenige Stunden später, nachdem sie sich auch von Nanna Sian verabschiedet hatte, saß sie bereits im Zug nach London, und erst jetzt fiel ihr auf, dass Lucan ihr die Kette mit dem Anhänger nicht zurückgegeben hatte.
12. KAPITEL
„Lexie, ich weiß, es ist schon spät. Aber hier ist jemand, der dich unbedingt sehen möchte.“
„Schon gut. Brenda, richtig? Ab hier komme ich allein zurecht.“
Lucans vertraute Stimme erreichte sie, bevor Lexie von ihrer Arbeit aufblicken konnte. Es war kurz vor Feierabend, und sie hatte eine Menge Papierkram zu erledigen.
Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, als sie Lucan erkannte. Groß und dunkel stand er in der Tür, fast bedrohlich, in einem schwarzen Anzug mit weißem Hemd und einem ebenfalls schwarzen Kaschmirmantel darüber.
Es war fünf Tage her, seit sie sich in Gloucestershire so unrühmlich getrennt hatten. Fünf lange und schmerzvolle Tage, in denen Lexie zwischen den Welten stand. Einerseits hätte sie Lucan gern wiedergesehen, andererseits würde ein weiteres Treffen die Probleme zwischen ihnen nur noch verschärfen.
Krampfhaft suchte sie in seinem Gesicht, in diesem hinreißend männlichen Gesicht, nach versöhnlichen Anzeichen. Warum war er hergekommen? Konnte es eine friedliche Aussprache geben? Sein harter Blick weckte kaum Hoffnung.
Schnell riss Lexie sich los und lächelte stattdessen ihre Assistentin an. „Du kannst schon nach Hause gehen, Brenda“, verkündete sie freundlich und stand auf. „Mr St. Claire ist sicherlich gekommen, um über seine Rechnung zu sprechen.“ Die war ihm nämlich vor genau zwei Tagen zugestellt worden.
Dann lehnte sich Lexie lässig gegen die Tischplatte. Sie war heilfroh, heute ein besonders schickes Kostüm zu tragen, in dem sie sehr professionell aussah. Die Haare hatte sie zurückgekämmt und mit einer schwarzen Spange hochgesteckt. Heute konnte sie jedes Detail
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