Das Geheimnis von Orcas Island
seiner Art, sich zu bewegen? Sie spielte mit den Kuchenkrümeln, während sie darüber nachdachte. Vielleicht lag es einfach daran, dass er so anders war als sie. Schweigsam, argwöhnisch, einzelgängerisch.
Mae hat Recht, dachte Charity. Sie hatte schon immer eine Schwäche für Streuner und Pechvögel gehegt. Aber dies war anders. Sie schloss einen Moment die Augen und wünschte, sie könnte eine Erklärung dafür finden, warum es so anders war.
Nie zuvor hatte sie etwas Ähnliches erlebt wie die Gefühle, die durch Ronald in ihr entfacht worden waren. Es war mehr als nur körperlich. Sie konnte es sich jetzt eingestehen. Dennoch ergab es keinen Sinn. Aber sie hatte auch immer geglaubt, dass man von Gefühlen nicht erwarten konnte, dass sie einen Sinn ergaben.
Am Morgen, draußen auf der verlassenen Straße, hatte sie einen Moment lang gespürt, wie Emotionen von ihm ausströmten. Sie hatten beinahe beängstigend gewirkt in ihrer Geschwindigkeit und Stärke. Solche Gefühle konnten wehtun … demjenigen, der sie hegte, und demjenigen, der sie empfing. Sie hatten sie verwirrt und Sehnsucht in ihr erweckt.
Sie glaubte zu wissen, wie sein Mund schmecken würde. Nicht mild, nicht süß, sondern würzig und kräftig. Wenn er bereit war, würde er nicht fragen, er würde nehmen. Es beunruhigte sie, dass es ihr nicht missfiel. Sie war seit ihrer frühesten Jugend gewöhnt, ihren eigenen Kopf zu haben, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Ein Mann wie Ronald hatte vermutlich wenig Respekt vor den Wünschen einer Frau.
Es wäre besser, viel besser, ihre Beziehung – ihre kurzfristige Beziehung – auf einer rein geschäftlichen Ebene zu halten. Freundlich, aber vorsichtig. Sie legte wieder das Kinn auf die verschränkten Hände. Es war ein Jammer, dass es ihr so schwer fiel, beides zu verbinden.
Ronald beobachtete, wie Charity mit den Krümeln auf ihrem Teller spielte. Ihr Haar war zerzaust, so als hätte sie ungeduldig mit den Fingern darin gewühlt. Ihre nackten Füße lagen übereinander geschlagen auf dem Stuhl ihr gegenüber.
Entspannt. Er war sich nicht sicher, ob er jemals jemanden so entspannt gesehen hatte, außer im Schlaf. Es war ein scharfer Kontrast zu der brennenden Energie, die sie tagsüber antrieb.
Er wünschte, sie wäre in ihren Räumen. Er hatte verhindern wollen, ihr zu begegnen. Das war persönlich. Er musste sie aus dem Weg haben, damit er das Büro durchsuchen konnte. Das war beruflich.
Er wusste, dass er zurückweichen und sich außer Sicht halten sollte, bis sie sich zur Nacht zurückzog.
Was war an dieser stillen Szene so reizvoll, so unwiderstehlich? Die Küche war warm, und Essensdüfte hingen noch in der Luft. In einem Hängekorb über der Spüle wucherte eine grüne Blattpflanze. Jede Oberfläche hier in der Küche war geschrubbt, sauber und glänzte. Der riesige Kühlschrank summte.
Charity sah aus, als würde sie darauf warten, dass er hereinkam und sich zu ihr setzte, um über kleine, unbedeutende Dinge zu reden. Das war verrückt. Er wollte nicht, dass irgendeine Frau auf ihn wartete, und schon gar nicht sie.
Aber er wich nicht zurück in die Schatten des Speisesaals. Er trat auf sie zu, ins Licht.
»Ich dachte, die Leute auf dem Lande gehen früh schlafen.«
Sie zuckte zusammen, aber erholte sich rasch. Sie war beinahe an die lautlose Art gewöhnt, in der er sich bewegte. »Meistens. Mae hat mir Schokoladenkuchen und ein aufmunterndes Gespräch gegeben. Möchten Sie Kuchen?«
»Nein.«
»Umso besser. Sonst hätte ich auch noch ein Stück gegessen und mich krank gemacht. Keine Willenskraft. Wie wäre es mit einem Bier?«
»Ja. Danke.«
Sie stand träge auf, ging zum Kühlschrank und rasselte eine Reihe von Marken herunter. Er wählte eine aus und beobachtete, wie sie es in ein Glas goss. Sie ist nicht mehr verärgert, stellte er fest. Also war sie nicht nachtragend. Als er das Glas entgegennahm, vermutete er, dass sie beinahe alles verzieh, jedem vertraute und mehr gab, als erbeten wurde.
»Warum sehen Sie mich so an?« murmelte sie.
Er nahm einen langen durstigen Schluck Bier. »Sie haben ein schönes Gesicht.«
Sie zog eine Augenbraue hoch, als er sich setzte und eine Zigarette hervorholte. Sie holte einen Aschenbecher aus einer Schublade und setzte sich neben ihn. »Ich nehme gern Komplimente entgegen, aber ich glaube nicht, dass das der Grund ist.«
»Es ist Grund genug für einen Mann, eine Frau anzusehen.« Er nippte am Glas. »Sie hatten heute Abend viel zu
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