Das Geheimnis von Orcas Island
sich die Haare aus der Stirn. »Hatten wir heute Abend viele Gäste?«
»Ich habe dreißig Tische bedient.«
»Ich werde dir eine Gehaltserhöhung geben müssen. Hat Mae ihren Schokoladencremekuchen gebacken?«
»Ja.«
»Ich nehme an, es ist keiner übrig.«
»Nicht ein Krümel. Er war köstlich.«
»Du hast welchen gehabt?«
»Die Mahlzeiten sind ein Teil meiner Bezahlung.«
Charity fühlte sich benachteiligt und lehnte sich zurück an die Kissen. »Stimmt.«
»Willst du jetzt wieder schmollen?«
»Nur eine Minute. Ich wollte dich fragen, ob der Sheriff etwas Neues über den Wagen weiß.«
»Nicht viel. Er hat ihn etwa zehn Meilen von hier gefunden, verlassen.« Ronald strich eine Falte zwischen ihren Brauen fort. »Sorg dich deswegen nicht.«
»Das tue ich auch eigentlich nicht. Ich bin nur froh, dass der Fahrer sonst niemanden verletzt hat. Lori sagt, dass dein Arm verwundet ist.«
»Ein bisschen.« Ihre Hände waren miteinander verschlungen. Er wusste nicht, ob er ihre oder sie seine genommen hatte.
»Bist du gerade spazieren gegangen, als es passierte?«
»Ich habe auf dich gewartet.«
»Oh.« Charity lächelte erneut.
»Du solltest dich jetzt lieber ausruhen.« Er fühlte sich verlegen und linkisch. Keine andere Frau hatte ihm je eine der beiden Reaktionen entlockt.
Widerstrebend ließ sie seine Hand los. »Sind wir wieder Freunde?«
»Das könnte man wohl sagen. Gute Nacht, Charity.«
»Gute Nacht.«
Er ging zur Tür und öffnete sie. Aber er konnte nicht über die Schwelle treten. Er stand dort, kämpfte mit sich selbst. Obwohl es nur wenige Sekunden waren, erschien es beiden wie Stunden. »Ich kann nicht.« Er drehte sich wieder um, schloss leise die Tür.
»Was?«
»Ich kann nicht gehen.«
Ihr Lächeln erblühte, in den Augen, auf den Lippen. Sie öffnete die Arme für ihn, wie er es erwartet hatte. Zu ihr zurückzugehen war beinahe so schwer wie fortzugehen. Er nahm ihre Hände und hielt sie fest.
»Ich bin nicht gut für dich, Charity.«
»Ich glaube, du bist sehr gut für mich.« Sie führte ihre vereinten Hände an die Wange. »Das bedeutet, dass einer von uns beiden sich irrt.«
»Wenn ich könnte, würde ich fortgehen.«
Sie spürte den Stich und akzeptierte ihn. Sie hatte nie erwartet, dass es schmerzlos wäre, Ronald zu lieben. »Warum?«
»Aus Gründen, die ich dir nicht erklären kann. Aber ich kann nicht fortgehen. Früher oder später wirst du wünschen, ich hätte es getan.«
»Nein.« Sie zog ihn auf das Bett hinab. »Was auch passiert, ich werde froh sein, dass du geblieben bist.« Nun strich sie die Falten von seiner Stirn fort. »Ich habe dir doch gesagt, dass es nur dann passieren wird, wenn es richtig ist.« Sie verschränkte die Hände hinter dem Nacken. »Ich liebe dich, Ronald. Heute Nacht ist etwas, das ich will, etwas, das ich beschlossen habe.«
Charity zu küssen war wie in einem Traum versinken. Sanft, betörend, zu schön, um wahr zu sein. Ronald wollte sie umhegen, wollte ihr Zärtlichkeit schenken, ihr nicht wehtun, und wusste doch, dass er letztlich keine andere Wahl hatte, als ihr wehzutun.
Doch in dieser Nacht, für ein paar kostbare Stunden, gab es keine Zukunft. Mit ihr könnte er sein, was er nie zuvor zu sein versucht hatte. Sanft, liebevoll, zärtlich. Mit ihr könnte er glauben, dass Liebe genug war.
Er liebte sie. Obgleich er nie gewusst hatte, dass er zu diesem starken und zerbrechlichen Gefühl fähig war, verspürte er es mit ihr. Es durchströmte ihn, schmerzlos und süß, heilte vergessene Wunden, linderte Schmerzen, mit denen er stets gelebt hatte. Wie hätte er ahnen können, dass sie seine Rettung sein würde? In der kurzen Zeit, die ihm blieb, wollte er es ihr zeigen. Und indem er es ihr zeigte, gab er sich selbst etwas, das er nie erwartet hatte.
Er gab ihr das Gefühl, schön zu sein. Und zart, dachte Charity, während seine Lippen sie liebkosten. Sie hörte ihr Seufzen, dann seines, als sie die Hände an seinem Rücken hinaufgleiten ließ. Sanft lehnte er sie zurück, berührte sie kaum, während sich der Kuss ausdehnte. Obwohl sie ihn so liebte, hatte sie nicht gewusst, dass er zu solcher Zärtlichkeit fähig sein könnte. Und sie konnte auch nicht wissen, dass er selbst es soeben erst entdeckt hatte.
Das Lampenlicht glühte warm. Ronald hatte nicht daran gedacht, die Kerzen zu entzünden. Aber er konnte Charity im Schein der Lampe sehen, die Augen dunkel, die Lippen vor Sehnsucht leicht geöffnet, als er seine auf ihren
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