Das Geheimnis von Sittaford
sich.
«Ich muss jetzt leider gehen, aber ich werde, wenn ich darf, bisweilen mal bei Ihnen die Nase hereinstecken. Wenn der Captain drei Romane in einem Daily Wire-Preisausschreiben gewonnen hat, dann ist es für den Daily Wire eine Ehrenpflicht, beim Aufspüren des Mörders zu helfen.»
«Ah, Sir, das haben Sie schön gesagt… das hätte niemand schöner sagen können.»
Mit einem fröhlichen «Auf Wiedersehen!», trollte sich Charles Enderby.
«Jetzt möchte ich wirklich wissen, wer den Mord begangen hat», murmelte er. «Freund Evans? Nein, der war’s wohl nicht. Vielleicht doch ein Einbrecher? Das würde ich bedauern. Eine Frau scheint auch nicht dahinter zu stecken – schade… Jedenfalls muss sich bald eine sensationelle Entwicklung anbahnen, oder der Fall wird zur Belanglosigkeit verblassen. Und das darf nicht sein. Es ist das erste Mal, dass ich bei einer Angelegenheit dieser Art zur Stelle bin, und ich will beweisen, dass ich mein Handwerk verstehe. Charles, mein Sohn, du hast deine Chance… nutze sie! Mein militärischer Freund wird mir wohl bald aus der Hand fressen, wenn ich nicht versäume, ihn mit der nötigen Ehrerbietung zu behandeln, und oft genug ‹Sir› zu ihm sage.»
Und sehr zufrieden mit sich, schlenderte Charles Enderby zu den «Three Crowns» zurück.
9
D ie Bahnfahrt von Exhampton nach Exeter dauert eine halbe Stunde, und fünf Minuten vor zwölf läutete Inspektor Narracott bereits an Mrs Gardners Haustür.
Das Haus war deutlich renovierungsbedürftig, der Garten sah ungepflegt aus, und das Gartentor hing schief in den Angeln.
Nicht viel Geld vorhanden, dachte der Inspektor.
Auf sein Klingeln erschien ein ziemlich schlampiges Dienstmädchen.
«Guten Tag», sagte Narracott. «Ich möchte gern Mrs Gardner sprechen. Es handelt sich um das Ableben ihres Bruders, Captain Trevelyan.»
Er gab ihr absichtlich keine Visitenkarte, da allein die Tatsache, jemandem von der Polizei gegenüberzustehen, die Leute meist einschüchterte und verschlossen machte.
«Hat Mrs Gardner die Todesnachricht schon erhalten?», fragte er leichthin, als das Mädchen einen Schritt zurücktrat, um ihm den Weg freizugeben.
«Ja, sie bekam ein Telegramm von Rechtsanwalt Kirkwood.»
Inspektor Narracott wurde ins Wohnzimmer geführt, einen Raum, der genau wie das Äußere des Hauses deutlich von Geldmangel erzählte und dennoch einen gewissen Charme besaß, den der Inspektor wohl spürte, ohne jedoch das Warum und Wodurch angeben zu können.
«Es muss für Ihre Herrin ein großer Schock gewesen sein.»
«Sie hat den Captain nicht viel gesehen», erwiderte das Mädchen. «Schließen Sie die Tür, und kommen Sie mal her», befahl der Inspektor, entschlossen, es mit Überrumpelungstaktik zu versuchen.
«Stand in dem Telegramm, dass er einem Mord zum Opfer fiel?»
«Mord…?» Die Gefragte riss die Augen weit auf, und eine Mischung aus Furcht und Grusel war in ihnen zu sehen. «Ermordet wurde er?»
«Ah!» sagte Inspektor Narracott. «Ich dachte es mir, dass Sie es noch nicht wissen. Rechtsanwalt Kirkwood wollte Ihre Herrin nicht so jäh damit überfallen, aber sehen Sie, mein Kind… wie heißen Sie übrigens?»
«Betty, Sir.»
«Aber sehen Sie, Betty, es wird in allen Abendzeitungen stehen.»
«Ermordet! Wie grässlich…! Haben sie ihm den Kopf zerschmettert oder ihn erschossen oder was?»
Narracott stillte bereitwillig ihre Neugier, um dann wie zufällig zu fragen:
«Man hat mir erzählt, dass Ihre Herrin gestern Nachmittag nach Exhampton zu fahren beabsichtigte. Aber wahrscheinlich hat sie wegen des schlechten Wetters Abstand davon genommen.»
«Das ist mir neu, Sir. Mrs Gardner ging gestern Nachmittag in die Stadt, um einige Besorgungen zu machen, und anschließend ins Kino.»
«Und wann kam sie zurück?»
«So gegen sechs.»
Demnach schied Mrs Jenny Gardner aus dem Kreis der Verdächtigen aus.
«Ich weiß nicht viel über die Familienverhältnisse», plauderte er im gleichen Ton weiter. «Ist Ihre Herrin eigentlich verwitwet?»
«Nein, Sir, der Herr lebt noch.»
«Womit beschäftigt er sich?»
«Mit gar nichts», erwiderte Betty, von der Frage offenbar überrascht. «Er kann nicht. Er ist sehr krank.»
«Oh, das tut mir aber Leid. Ich hatte keine Ahnung davon.»
«Er kann nämlich nicht gehen und liegt den ganzen Tag im Bett, und deshalb ist ja auch immer eine Pflegerin im Haus. Kein Vergnügen für mich, die auch noch zu bedienen, dauernd muss ich Tabletts hinaufschleppen und
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