Das Geheimnis von Sittaford
unhöflichen Aufbruch unendlich. Auf Wiedersehen, Schwester, auf Wiedersehen.»
Die Pflegerin begleitete ihn bis zur Haustür.
«Stattlicher Mann!» sagte sie zu sich selbst, als die Tür ins Schloss fiel. «Stattlich und klug. Und von so einer bezaubernden Liebenswürdigkeit…!»
Mit einem tiefen Seufzer ging sie die Treppe hinauf, um ans Bett ihres Patienten zurückzukehren.
10
D er nächste Besuch Inspektor Narracotts galt seinem Vorgesetzten Superintendent Maxwell, dem er ausführlich Bericht erstattete.
«So, so», meinte dieser, als Narracott geendet hatte, «wir haben es also mit einem verwickelten Fall zu tun. Nun, da werden die Zeitungen mit fett gedruckten Überschriften nicht sparen.»
«Der Meinung bin ich auch, Sir.»
«Wir müssen vorsichtig zu Werk gehen und uns vor jedem Fehler hüten. Aber ich denke, Sie sind auf der richtigen Spur, Narracott, und tun gut daran, vor allem einmal herauszufinden, wo dieser James Pearson sich gestern Nachmittag herumgetrieben hat. Ich gebe Ihnen auch Recht, dass der Name Pearson nicht gerade selten vorkommt, merkwürdig ist nur, dass auch der Vorname übereinstimmt. Dass der junge Herr sich mit seinem richtigen Namen ins Gästebuch eintrug, zeigt, dass wir es mit keinem vorbedachten Verbrechen zu tun haben. Sieht eher aus nach einem Streit und einem in plötzlicher Wut geführten Schlag. Wenn der Gast tatsächlich der Neffe ist, muss er von seines Onkels Tod in Exhampton erfahren haben. Und warum reist er dann bei Nacht und Nebel, das heißt mit dem Sechs-Uhr-Morgenzug, so überstürzt ab? Nein, nein, das erscheint mir verdächtig…»
«Ja. Ich fahre am besten schon 1 Uhr 45 nach London. Früher oder später werde ich auch Mrs Willett auf den Zahn fühlen, der Mieterin von Sittaford House. Da stimmt auch nicht alles. Aber im Augenblick versperren die Schneemassen den Weg nach Sittaford, und überdies kann sie nicht direkt mit dem Verbrechen zu tun haben, da sowohl sie als auch ihre Tochter sich zur fraglichen Zeit mit… Tischrücken befassten. Und dabei ereignete sich etwas Sonderbares.»
Und wortgetreu wiederholte der Inspektor, was er mit viel Mühe aus Major Burnaby herausgeholt hatte.
«Nanu, das klingt ja wie ein Märchen», rief sein Vorgesetzter. «Und dennoch bin ich der Ansicht, dass der alte Herr nicht gelogen hat.»
«Ich glaube auch, dass es sich wirklich so zutrug», sagte Narracott mit einem verlegenen Lachen. «Der Major wollte anfänglich gar nicht mit der Sprache heraus und ist alles andere als ein gläubiger Okkultist. Ein alter Soldat, der solche Dinge eher als reinen Unsinn betrachten würde.»
«Nun, es ist freilich seltsam – doch wir brauchen uns nicht den Kopf darüber zu zerbrechen», entschied Superintendent Maxwell.
«Dann werde ich also jetzt nach London fahren.»
Der andere nickte.
Aber in der Cromwell Street 21 bekam Inspektor Narracott den Bescheid, dass Mr Pearson im Büro sei und erst um sieben Uhr heimkehren würde.
Narracott tat, als hätte ihn eine höchst unwichtige Angelegenheit hergeführt.
«Vielleicht werde ich dann noch einmal vorsprechen, wenn es meine Zeit erlaubt», meinte er leichthin und machte rasch kehrt, ohne seinen Namen genannt zu haben.
Statt zu der Versicherungsgesellschaft zu gehen, zu deren Angestellten Mr James Pearson gehörte, schien es dem Inspektor sinnvoller, Mrs Martin Dering, geborene Sylvia Pearson, aufzusuchen.
Ihr Haus in Wimbledon war alles andere als armselig. Neu und protzig war es, wie Inspektor Narracott missbilligend feststellte.
Mrs Dering empfing ihn sofort, nachdem er ihr durch eine schnippische Zofe seine Karte hatte überreichen lassen.
«Ich vermute, Sie kommen wegen des armen Onkels Joseph», begrüßte sie ihn, die Karte noch in der Hand haltend. «Nicht wahr, es ist schrecklich, so enden zu müssen…? Ich lebe auch in ständiger Angst vor Einbrechern und habe erst vergangene Woche noch zwei Extrariegel für die Hintertür und Patentverschlüsse für die Fenster bestellt.»
Sylvia Dering war, wie Narracott von Mrs Gardner wusste, erst fünfundzwanzig Jahre alt, doch jeder Uneingeweihte hätte sie wohl für mindestens dreißig gehalten. Klein und semmelblond und bleichsüchtig, saß sie mit vergrämtem Gesicht ihrem Besucher gegenüber, und ihre Stimme hatte jenen verzagt-wehleidigen Ton, der auf die Dauer unerträglich wirkt.
«Wenn ich Ihnen helfen kann, will ich das gerne tun», fuhr sie fort, ohne dass es dem Inspektor möglich gewesen wäre, ein Wort zu
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