Das Geheimnis von Vennhues
einer knappen Stunde aus dem Kindergarten.«
Peter zögerte, doch dann spielte ein Lächeln um seinen Mund.
»Also gut«, sagte er. »Ein Bier wäre super.«
Das Brutzeln der Schweinekoteletts mischte sich mit dem lauten Surren der Dunstabzugshaube. Der Duft von gebratenem Fleisch erfüllte die Küche, und Hambrock lief bereits das Wasser im Munde zusammen. Seine Mutter stand mit dem Rücken zu ihm am Herd und machte sich daran, eine Pilzsauce abzuschmecken. Zunächst gab sie einen kräftigen Schuss Sahne hinein, dann goss sie reichlich Weißwein hinterher. Hambrock versuchte die Kalorienzahl des Mittagessens zu überschlagen, und sofort spürte er sein schlechtes Gewissen. Er rief sich den Rat seines Heilpraktikers in Erinnerung. »Im Winter ist der Körper ohnehin nicht darauf eingerichtet abzunehmen. Warten Sie mit dem Fasten bis zum Frühjahr, dann geht es auch viel leichter.« Er konnte sich also nichts vorwerfen, wenn er kräftig zuschlug.
Ihm gegenüber am Küchentisch saß sein Vater und las in der Zeitung. In Vennhues kamen die Zeitungen erst am späten Vormittag, gemeinsam mit der Post. Zum Frühstück gab es nur das Blatt des Vortags, und so hatten sich alle angewöhnt, die Zeitung erst beim Mittagessen zu lesen. Hambrock hatte den Lokalteil aufgeschlagen, doch angesichts der Berichte über Taubenzuchtvereine und Schweinepreise hatte er schnell das Interesse verloren.
Hambrock senior bemerkte es und reichte ihm den Politikteil.
»Ich bringe dich nach dem Mittagessen zur Werkstatt«, sagte er. »Dann müsste dein Wagen fertig sein.«
»Danke. Das ist nett von dir.«
Sein Vater nickte, dann stand er auf und verließ die Küche. Wie jeden Mittag ging er noch einmal durch die Stallungen, bevor das Essen fertig war.
Hambrock versuchte sich auf einen Artikel zu konzentrieren, doch seine Gedanken schweiften ab. Er legte die Zeitung hin und blickte zum Küchenfenster. Aenne Brook hatte die Unwahrheit gesagt, davon war er überzeugt. Natürlich konnte sie sich an den Wagen erinnern, den sie in den Tagen vor dem Mord an Willem im Dorf gesehen hatte. Doch weshalb gab sie vor, von alledem nichts mehr zu wissen?
Er versuchte sich an die Zeit vor Willems Tod zu erinnern. Er war sechzehn Jahre alt gewesen und hatte gerade die Realschule abgeschlossen. Die Zusage für den Ausbildungsplatz bei der Polizei war bereits da gewesen, und es waren ihm sechs Wochen bis zum Dienstbeginn geblieben. Sechs freie Wochen, ein warmer Spätsommer und die Vorfreude auf das Leben eines Erwachsenen. Gemeinsam mit den anderen hatte er auf den abgeernteten Feldern gelegen, Zigaretten geraucht und Bier getrunken. Der Sommer schien gar nicht enden zu wollen, und erst durch Willems Tod wurde dem zeitlosen Dasein ein jähes Ende gesetzt.
Aber sonst? Was war noch gewesen?, fragte er sich. Was war vor dem Mord geschehen? Hatte er selbst etwas beobachtet? Die Nachricht von dem Verbrechen und die Ereignisse der darauffolgenden Tage hätte er noch immer detailgenau wiedergeben können. Doch die Zeit davor? Hatte er einen Wagen gesehen, der nicht hierher gehörte? Was war mit den anderen Dorfbewohnern? Hatte sich jemand sonderbar benommen?
Seine Mutter stellte die Dunstabzugshaube ab. Das Essen war fertig. In der Diele klingelte das Telefon. Mechthild Hambrock steuerte die Küchentür an, doch da wurde der Hörer bereits abgenommen. Sein Vater war wieder im Haus. Er meldete sich mit seinem Namen und lauschte eine Weile in den Hörer, dann versprach er, alles auszurichten, legte auf und kam in die Küche.
Hambrock blickte ihn fragend an. »Was ist passiert?«
»Das war die Werkstatt. Es gab Probleme bei der Reparatur, und nun müssen sie sich einen neuen Steuerriemen liefern lassen. Der Wagen wird erst morgen früh fertig sein. Sie sagen, es tut ihnen Leid.«
Hambrock musste wieder ein Stück die Straße hinuntergehen, bis er ein stabiles Netz hatte. Im Grunde hätte er seine Kollegin auch vom Apparat seiner Eltern anrufen können, doch es war ihm lieber, wenn niemand zuhörte. Heike meldete sich nach dem zweiten Läuten.
»Alles in Ordnung bei euch?«, fragte Hambrock.
»Ja, natürlich. Denkst du, wir schaffen es nicht, einen Vormittag lang ohne dich klarzukommen?«
»So habe ich das nicht gemeint. Ist irgendwas passiert? Ein neuer Fall oder so?«
»Nein, gar nichts. Aber bestimmt ist das nur die Ruhe vor dem Sturm. So ist es ja immer. Kaum hast du mal ein bisschen Zeit, um deinen Schreibtisch aufzuräumen, kommt es Fall auf Fall. Wo
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