Das Geheimnis von Vennhues
als Einziger von allen Polizist werden wollte. Manchmal waren auch seine Schwester Birgit dabei und Gabriele Brook mit ihrer Freundin Astrid. Und sie alle verband die Vorfreude auf das Erwachsensein.
»Weißt du noch, wie wir an einem heißen Nachmittag in Bauer Trostdorfs Weizenfeld gelegen haben?«, fragte Hambrock. »Wir rauchten Zigaretten und sahen in den blauen Himmel.« Er lächelte. »Keiner hat den Bauern kommen sehen.«
Peter lachte. »Natürlich weiß ich das noch. Du warst nicht schnell genug, mein Lieber. Selbst deine kleine Schwester hat es geschafft, ihm zu entkommen.«
»Die Schläge gab es gar nicht, weil ich geraucht habe, obwohl das verboten war«, sagte Hambrock. »Es gab sie, weil das ganze Weizenfeld hätte abbrennen können. Doch das habe ich erst später begriffen. Da war ich schon grün und blau.«
Peter blickte hinaus in den trüben Himmel.
»Was hatten wir nicht alles vor«, sagte er. »Du und ich und Willem. Wir dachten, dass uns die ganze Welt zu Füßen läge. Wir müssten nur hinausziehen, und dann könnten wir tun und lassen, was wir wollten. Wir waren überzeugt, dass dort draußen Abenteuer und großartige Zeiten auf uns warteten.«
Willem und Peter, dachte Hambrock nun mit etwas Abstand. Sie waren so enge Freunde gewesen damals. Ganz egal, was zwischen ihnen vorgefallen war, Hambrock konnte sich nicht vorstellen, dass einer von ihnen dem anderen etwas hätte antun können. Auch nicht während eines schizophrenen Anfalls. Es war einfach undenkbar.
»Der Streit damals zwischen dir und Willem …«, begann er.
Peter sah ihn nicht an. »Spielt das denn wirklich eine Rolle?«, fragte er. »Müssen wir darüber reden?«
Hambrock wünschte sich, er hätte damals genauer hingesehen. Die Freundschaft zwischen Peter und Willem war auseinandergebrochen, nachdem ein Nachbar diesen sexuellen Übergriff gegen Willem vereitelt hatte. Doch was musste sich Hambrock darunter vorstellen? Hatte Peter versucht, ihn zu küssen? Hatte er ihn begrapscht? Oder Schlimmeres?
Diese Geschichte hatte sich ereignet, als der Sommer bereits zur Neige gegangen und die Nächte deutlich kühler geworden waren. Hambrock war mit seinen Gedanken bereits woanders gewesen, er hatte über diese Vorfälle nicht weiter nachgedacht. Es war plötzlich nur noch eine Handvoll Tage bis zum Beginn der Polizeischule. Der Sommer, der so lang nicht hatte enden wollen, war mit einem Mal vorbei gewesen, und da schien es nicht verwunderlich, dass Freunde im Streit auseinandergingen und Gemeinschaften zerfielen. Hambrock saß bereits auf gepackten Koffern.
»Stimmt es denn, was alle gesagt haben?«, fragte er jetzt. »Dass du Willem damals … belästigt hast?«
Peter schloss die Augen. Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht.
»Das ist doch nun egal«, sagte er matt. Er stand auf und klopfte sich die Hände ab. »Wen interessieren diese alten Geschichten?«
Peters Stimme war voll Bitterkeit. Er wandte Hambrock den Rücken zu und blickte über das Moor.
In diesem Moment verstand Hambrock. Es war ihm plötzlich völlig klar. Er wunderte sich, warum er nicht eher darauf gekommen war. Es war so offensichtlich.
»Du und Willem«, sagte er. »Ihr zwei wart damals … ein Paar?«
Peter versteifte sich. Zwar konnte Hambrock sein Gesicht nicht sehen, dennoch wusste er sofort, dass er richtig lag.
»Wieso der sexuelle Übergriff?«, fragte er. »Willem hat dich später als Monster dargestellt. Er wollte nie wieder etwas mit dir zu tun haben.«
Peter atmete tief durch. »Nachdem Trostdorf uns erwischt hatte, haben wir beschlossen, dass ich die Schuld alleine auf mich nehme. Willem sollte überall behaupten können, ich hätte ihn bedrängt. Mir war es gleich, was die Leute von mir dachten. Ich wollte schließlich nicht mehr lange in Vennhues bleiben. Doch Willem hatte Angst vor seinen Eltern und deren Reaktion. Außerdem war er sehr beliebt im Dorf, und das macht es vielleicht schwerer, die anderen vor den Kopf zu stoßen.«
Peter stand weiterhin mit dem Rücken zu ihm. Es war, als erzählte er die Geschichte dem Moor.
»Wir haben uns nur noch heimlich getroffen. Auf dem Heuboden oder draußen im Kiefernwald. Meistens aber haben wir uns hier getroffen, in der Vogelwarte. Wir haben Pläne geschmiedet. Für unsere Zukunft. Wenn meine Lehre in Gronau anfinge, wollte er nach Enschede gehen, um dort das Abitur zu machen. Sein Vater war begeistert von der Idee. Er war stolz darauf, dass sein Sohn sein Niederländisch verbessern
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