Das Geheimnis von Winterset
Mörder sein?"
„Nun, er wäre nicht der erste Arzt, der Leben nicht nur rettet", bemerkte Reed. „Vor allem aber weiß er über jedes Detail der früheren Fälle Bescheid."
Anna nickte. „Er interessiert sich schon lange für die Morde und für die Geschichten von der Bestie."
„Etwa auch schon vor dem Tode seines Vaters, als er in den Besitz der Tagebücher kam?"
„Ich denke schon. Sein Vater ist erst vor ungefähr zehn Jahren gestorben. Vielleicht hat er seinem Sohn bereits zu Lebzeiten davon erzählt."
„Also ist Dr. Felton an allem interessiert, was mit den Morden zusammenhängt, und hat sehr viele Nachforschungen zu diesem Thema betrieben ..."
„So wie wir", bemerkte Anna.
„Das stimmt allerdings. Wahrscheinlich liegt es in der menschlichen Natur, sich für ungeklärte Verbrechen zu interessieren. Aber wenn bei Dr. Felton nun mehr dahintersteckt? Könnte aus seinem Interesse nicht eine Besessenheit geworden sein? Aus den Aufzeichnungen seines Vaters kannte er alle Einzelheiten der Morde - er wusste, wer die Opfer waren, wo sie gefunden wurden, welcher Art ihre Wunden waren, und er fand in den Tagebüchern sogar die Vermutung seines Vaters darüber, welche Waffe der Täter benutzt haben könnte ... "
„Ja, ich weiß", meinte Anna. „Ich grüble auch immer wieder darüber nach, nur mag ich es einfach nicht glauben.
Schließlich kenne ich Martin Felton schon mein ganzes Leben und habe ihn nie als in irgendeiner Weise gewalttätig erlebt. Und warum hätte er Kit angreifen sollen? Damals gab es auch nur zwei Morde."
„Vielleicht ist er auf den Geschmack gekommen und kann jetzt nicht mehr davon lassen."
„Aber Kit war an dem Abend noch kurz vorher bei ihm zu Hause. Wie sollte Dr. Felton so rasch an die Stelle gelangt sein, an der Kit aufgelauert wurde?"
„Vielleicht ist er ihm gefolgt. Hat er nicht selbst gesagt, dass Kit der letzte seiner Gäste war, der gegangen ist?"
Anna nickte. „Wäre er ihm gefolgt, so hätte Kit ihn sicherlich gehört. Er hätte sich nur umdrehen müssen und seinen Verfolger gesehen. Warum sollte Dr. Felton ein solches Risiko eingehen?"
„Wenn er vorhatte, Kit umzubringen, bestand für ihn keinerlei Risiko."
„Dann hat der Täter - wer auch immer es sein mag - wahrlich Glück, dass mein Bruder sich nicht mehr an die Ereignisse erinnern kann", meinte Anna nachdenklich.
„Ja", gab Reed ihr recht, „und aus diesem Grund würde ich sagen, dass Kit sich noch immer in Gefahr befindet.
Der unbekannte Angreifer kann sich nicht darauf verlassen, dass Ihr Bruder sich nicht irgendwann wieder an alles erinnern wird."
„In jener Nacht war mir ... als ob ich jemanden hinter unserem Haus gesehen hätte - im Garten, unter den Bäumen ..."
„Wie bitte?" Erschrocken fuhr Reed herum und schaute sie voller Bestürzung an. „Der Mörder schleicht um Ihr Haus herum?"
„Ich weiß nicht, ob es der Mörder war. Es war sehr dunkel, und die Gestalt war zu weit fort, als dass ich viel hätte erkennen können. Mittlerweile denke ich, dass es vielleicht nur ein Schatten war und meine Fantasie mit mir durchgegangen ist." „Du lieber Himmel ... Wir müssen unbedingt etwas unternehmen, bei Ihnen zu Hause sind Sie nicht mehr sicher. Sie und Kit sollten für eine Weile nach Winterset ziehen."
„Warum sollten wir da weniger in Gefahr sein?", wandte Anna ein. „Holcomb Manor ist viel kleiner und überschaubarer, es gibt weniger Türen und Fenster, durch die man unbemerkt hineingelangen könnte. Alles ist jetzt sicher verschlossen und verriegelt, die Dienstboten wissen Bescheid, und Thompkins schläft jede Nacht auf einer Liege vor Kits Tür."
„Ich mache mir keine Sorgen um Kit, sondern um Sie!", entgegnete Reed ungehalten.
„Auf mein Leben hat es doch niemand abgesehen", stellte Anna sachlich fest.
„Nein, noch nicht. Was macht Sie aber so gewiss, dass der Mörder nicht die Gelegenheit nutzen wird, sowohl Sie als auch Ihren Bruder umzubringen?"
„Warum sollte er das tun?"
„Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil wir über seine Beweggründe bislang nichts in Erfahrung gebracht haben.
Offenbar haben wir es mit jemandem zu tun, der nach seiner ganz eigenen Logik vorgeht. Wir können nicht wissen, was er als Nächstes tun wird."
„Und wir wissen auch nicht, ob überhaupt etwas geschehen wird", fügte Anna hinzu.
„Nein, das stimmt. Trotzdem sollten wir kein Risiko eingehen." Reed nahm ihre Hand. „Anna, ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn er Ihnen etwas zuleide
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