Das Geheimnis von Winterset
täte."
Seine aufrichtigen Worte und das kaum verhohlene Verlangen in seiner Stimme berührten etwas tief in Anna und weckten ihre ursprünglichsten Gefühle. Ihr eigenes Blut geriet in Wallung, und unwillkürlich schloss sie die Finger fest um seine Hand. Sein Gesicht neigte sich dem ihren zu, und ein Blick in seine jetzt ganz dunklen Augen ließ sie ein plötzliches Aufbranden wilder Leidenschaft spüren. Sie wollte ihn - genauso wie er sie wollte, und Anna wusste, dass ein einziger Kuss sie beide ihrem Verlangen nachgeben lassen würde. Gleich hinter ihnen war der Gasthof, in dem sie sicher ein Zimmer bekommen könnten ... Niemand würde sich wundern, wenn sie ein wenig später nach Holcomb Manor zurückkehrten. Mit dem letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung wandte sie sich ab. „Ich ... es ist schon spät, und wir sollten uns besser auf den Rückweg machen."
Sie ahnte, wie sehr Reed mit seinen Gefühlen kämpfte - fast meinte sie zu hören, wie er die Zähne zusammenbiss.
Doch er sagte lediglich: „Ja, natürlich."
Der Ritt zurück schien ihr viel länger als der Hinweg. Unterwegs sprachen sie nicht viel. Als sie auf Holcomb Manor eintrafen, bestand Reed darauf, Anna ins Haus zu begleiten und sich selbst nach Kits Befinden zu erkundigen.
Sie fanden ihren Bruder in seinem Arbeitszimmer, wo er mit einem ganzen Stapel Unterlagen vor sich an seinem Schreibtisch saß, aber starr ins Leere blickte. Er fuhr leicht zusammen, sobald er Reed und Anna in der Tür stehen sah, und lächelte dann ein wenig verlegen.
„Kommen Sie herein. Ich war nur gerade in Gedanken."
„Das ist verständlich - nach allem, was geschehen ist", befand Reed.
„Ich kann mich immer noch nicht daran erinnern, überfallen worden zu sein", sagte Kit. „Mittlerweile weiß ich aber wieder, was in der Zeit kurz davor geschah."
„Tatsächlich?" Interessiert kamen beide näher und nahmen in den Sesseln vor dem Schreibtisch Platz.
„Ja. Ich kann mich genau daran erinnern, bei Dr. Felton Karten gespielt zu haben", begann er. „Ich habe ein paar Gläser Whisky getrunken und auch ein wenig Geld verloren. Dann habe ich mich von Martin verabschiedet und auf den Heimweg gemacht. Nur danach weiß ich nicht mehr, was geschehen ist - ich fühlte mich furchtbar müde, und das war so seltsam ..."
„Wirklich?" Reed horchte auf und lehnte sich in seinem Sessel vor. „Was genau war daran seltsam? Es war immerhin schon recht spät."
„Ja, aber ich war bleischwer vor Müdigkeit - nicht so, wie ich mich normalerweise fühle, wenn ich zu Bett gehe.
Mir war, als könnte ich kaum noch die Augen offen halten. Glücklicherweise kannte mein Pferd den Weg nach Hause, sonst wüsste ich nicht, wo ich gelandet wäre."
Reed und Anna sahen sich kurz an und wandten sich dann wieder Kit zu.
„Kein Wunder, dass Sie sich an nichts mehr erinnern können", stellte Reed fest. „Wie es aussieht, sind Sie betäubt worden."
„Betäubt?" Kit zog die Augenbrauen in die Höhe. „Nein, ganz sicher nicht ... "
„Sie haben gerade gesagt, dass Sie nur ein paar Gläser Whisky getrunken hätten, was uns auch Dr. Felton bestätigt hat. Sie waren also keineswegs so betrunken, als dass Sie davon derart schläfrig geworden wären."
„Ja, das stimmt."
„Dennoch fühlten Sie sich ungewöhnlich müde - so sehr, dass Sie kaum noch die Augen offen halten konnten.
Vielleicht erinnern Sie sich deshalb nicht mehr an den Schlag. Sie haben bereits vorher das Bewusstsein verloren und sind einfach vom Pferd gefallen."
„Aber natürlich!", pflichtete Anna Reed bei. „Der Mörder musste sich gar keine Sorgen darum machen, dass Kit ihn erkennen könnte - oder dass er sich wehren würde. Er hatte nur darauf zu warten, dass du bewusstlos wurdest, damit er in aller Ruhe ans Werk gehen konnte. Wahrscheinlich hast du dir den Kopf wirklich beim Sturz vom Pferd verletzt."
Kit sah sie beide fassungslos an. „Ihr meint das ernst? Glaubt ihr wirklich, dass der Mörder hinter mir her ist?"
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich gesehen habe, wie sich eine Gestalt in einem dunklen Umhang über dich gebeugt hat!", rief Anna. „Wären Cooper und ich nicht gekommen, wage ich gar nicht daran zu denken, was mit dir geschehen wäre. Glaubst du mir denn nicht?"
„Doch ... natürlich. Bloß kann ich es nicht so ganz begreifen. Bislang dachte ich immer, dass du dich getäuscht hättest, denn es ist so unheimlich und ... seltsam."
„Ich weiß, dass es seltsam klingt", stimmte Reed zu. „Aber
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