Das Geheimnis von Winterset
befand, nahm sie das Angebot dankend an.
Während des Abendessens wurde sie Reed zur Linken platziert, während Lady Kyria ihr mit Rafe gegenübersaß.
Glücklicherweise machte es Kyria und ihrem Mann nichts aus, die Unterhaltung bei Tisch fast alleine zu bestreiten, denn weder Anna noch Reed trugen viel zum Gespräch bei. Die Zwillinge waren bereits nach oben geschickt worden, um ein Bad zu nehmen und nach ihrem Abendessen zeitig zu Bett zu gehen, und Miss Farrington schien sehr zurückhaltend zu sein.
Anna wusste, dass sie sich mehr an der Unterhaltung beteiligen sollte. Eigentlich hätte es ihr keine Mühe bereitet, höflich und angeregt mit ihren Gastgebern zu plaudern, doch Reed so nah neben sich zu wissen, verunsicherte sie derart, dass ihr beim besten Willen nicht einfiel, was sie sagen könnte. Sie wünschte sich so sehr, einen kühlen Kopf bewahren zu können! Und sie wünschte sich auch, dass sie nicht gar so gerne wissen würde, was Reed wohl nun von ihr dachte, wo sie dieses weitaus vorteilhaftere blaue Kleid trug und ihre Haare ordentlich aufgesteckt hatte ...
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass alle sie erwartungsvoll ansahen. Sie hatte ihre Gedanken abschweifen lassen und den Gesprächsfaden verloren. „Wie bitte? Es tut mir leid, aber ich muss ein wenig geträumt haben", entschuldigte sie sich und errötete.
Kyria lächelte. „Ich sagte gerade, dass ich am Freitag eine kleine Abendgesellschaft geben möchte - nichts Aufwendiges, sondern nur eine kleine Feier, um allen zu danken, die uns so freundlich in Lower Fenley aufgenommen haben. Ich hoffe natürlich, dass Sie und Ihr Bruder auch kommen werden."
„Diesen Freitag?" Verzweifelt suchte Anna nach einer Ausrede, aber ihr fiel keine ein. Sie konnte schlecht sagen, dass sie bereits anderweitig eingeladen war, denn wenn Lady Kyria ein Fest veranstaltete, würden ohnehin alle Leute aus der näheren Umgebung daran teilnehmen. Zudem war sie sich sicher, dass Kit sehr gerne hingehen wollte, und diesen Wunsch konnte sie ihrem Bruder wohl kaum verwehren. „Aber natürlich", sagte sie deshalb, „das klingt wunderbar, und ich freue mich schon sehr."
Es blieb ihr ja immer noch die Möglichkeit, Kopfschmerzen oder irgendeine andere Unpässlichkeit vorzutäuschen.
Anna sah Reed verstohlen an und merkte, dass er sie mit undurchdringlicher Miene beobachtete. Sie fragte sich, ob es ihm lieber gewesen wäre, wenn sie die Einladung ausgeschlagen hätte - oder ob ihre Anwesenheit ihm nicht ohnehin gleichgültig war. Vielleicht war er ja nur an Miss Farrington interessiert, denn das Wenige, das Reed heute Abend zur Unterhaltung beigetragen hatte, war hauptsächlich an diese junge Dame gerichtet gewesen. Anna kam nicht umhin, sich zu fragen - wie sie es bereits getan hatte, als Kit ihr von Miss Farrington erzählt hatte -, ob Reed wohl ein besonderes Interesse an ihr haben mochte und sie deshalb mit nach Winterset gekommen war. Anna hatte zwar keine Anzeichen der Verliebtheit in Reeds Gesicht bemerkt, wenn er mit Miss Farrington sprach, aber vielleicht wollte er die junge Frau mit seiner Zurückhaltung auch nur vor dem Gerede der Leute schützen.
Auf einmal wurde Anna bewusst, dass sie Reed die ganze Zeit angesehen hatte, und sie wandte sich hastig ab.
Stattdessen fiel ihr Blick jedoch auf Kyria, und sie bemerkte, dass Reeds Schwester sie mit einer gewissen Aufmerksamkeit betrachtete. Anna errötete. Glücklicherweise wandte sich Kyria mit einer beiläufigen Bemerkung jedoch wieder ihrem Mann zu.
Nach dem Essen teilte sich die kleine Gesellschaft nicht auf, wie es an sich üblich war, damit die Männer in Ruhe rauchen und ein Glas Brandy trinken konnten. Nein, die Morelands waren wirklich „anders" - ganz so, wie Anna es immer gehört hatte. Und nun konnte sie sich auch nicht einfach nur bei ihrer Gastgeberin verabschieden, wie sie gehofft hatte: Sobald sie Kyria sagte, dass sie nach Hause müsse, sprang Reed sofort auf und bot ihr an, sie in seiner Kutsche nach Holcomb Manor zurückzubringen.
„Oh nein, das ist wirklich nicht nötig versicherte Anna ihm rasch, denn bei dem Gedanken, mit Reed auf so engem Raum zusammen zu sein, wurde ihr ganz anders zumute.
„Aber ich bestehe darauf", beharrte Reed. „Es ist das Mindeste, das ich tun kann, um mich dafür zu revanchieren, dass Sie meinen Brüdern geholfen haben."
„Das erwarte ich überhaupt nicht von Ihnen", wandte Anna hilflos ein. „Ich kann ohne weiteres allein in der Kutsche
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