Das Geheimnis von Winterset
wie diese beiden hier."
Der alte Stallmeister wandte sich wieder an die Jungen und schimpfte auch noch, als er ihnen auf die Ponys half und ihnen die Zügel reichte. Erneut drehte Reed sich zu Anna um.
„Vielen Dank dafür, dass Sie den Jungen geholfen haben. Es erleichtert mich sehr, zu wissen, dass Sie bei Ihnen waren."
„Ich hätte die beiden früher nach Hause bringen sollen."
„Mir scheint, dass Sie allerhand zu tun hatten. Kein Wunder, dass Sie darüber die Zeit ganz vergessen haben." Er hielt kurz inne und fuhr dann ein wenig unbeholfen fort: „Wenn Sie mir gestatten würden, Sie vor mich auf mein Pferd zu setzen, könnten wir gemeinsam nach Winterset reiten und von dort würde ich Sie in einer Kutsche nach Hause bringen, wie es sich gehört. Ich ... ich glaube, dass meine Schwester Ihnen auch gerne persönlich danken würde."
Bei dem Gedanken daran, zusammen mit Reed auf seinem Pferd bis zurück nach Winterset zu reiten, wurde Anna ganz warm. Bestimmt konnte man ihr die Verlegenheit ansehen. „Oh ... aber nein, machen Sie sich keine Sorgen.
Jetzt, wo die Jungen wohlbehalten bei Ihnen sind, kann ich von hier aus auch zu Fuß nach Hause gehen."
„Denken Sie wirklich, ich würde Sie im Dunkeln allein bis nach Holcomb Manor laufen lassen?" Reed straffte die Schultern. „Glauben Sie, dass ich Ihnen mit einem so schäbigen Verhalten Ihre Freundlichkeit entgelten würde?"
„Nein ... natürlich nicht", lenkte Anna rasch ein. „Aber es ist wirklich nicht weit von hier, und ich ... "
„Unsinn, das kann ich nicht zulassen", unterbrach Reed sie brüsk. Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: „Wenn Sie allerdings nicht mit mir zusammen auf dem Pferd reiten wollen, kann Jenkins Ihnen auch seines überlassen, und er geht dann eben zu Fuß nach Winterset zurück."
Anna sah Reed erbost an. Er wusste ganz genau, dass sie nicht zustimmen würde, den alten Diener im Dunkeln den weiten Weg zurücklaufen zu lassen, zumal er sich in der Gegend genauso wenig auskannte wie die Zwillinge.
Reed erwiderte ihren Blick mit einem milden Lächeln und zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.
„Also gut", stimmte Anna zu. Ihr war bewusst, wie undankbar sie klang, aber das konnte sie nicht ändern, denn ihr graute davor, Reed Moreland so nah zu sein.
Ohne ein weiteres Wort half Reed ihr in den Sattel und stieg dann hinter ihr auf. Er griff nach den Zügeln und legte seine Arme um Anna. Auf einmal wurde sie von der Wärme seines Körpers umfangen, von seinem Geruch, von allem, das ihr so vertraut war und das sie so lange vermisst hatte. Anna konnte den Schauder nicht unterdrücken, der sie durchfuhr, als Reed seinem Pferd die Fersen in die Flanken stieß und sie gemeinsam in die Nacht ritten.
4. KAPITEL
Kerzengerade hielt Anna sich im Sattel, denn sie wagte nicht, sich bei Reed anzulehnen, dessen Nähe sie sich dennoch allzu bewusst war. Durch die Bewegung des Pferdes war es unmöglich, ihn nicht hin und wieder flüchtig zu streifen, und jedes Mal erglühte ihre Haut unter der Berührung. Anna biss die Zähne zusammen und schalt sich, dass sie albern sei und Reeds Nähe ihr nicht so sehr zu schaffen machen sollte. Doch auch mit der größten Willensanstrengung gelang es ihr nicht, ihre aufgewühlten Gefühle zu beschwichtigen.
Sie schwiegen beide, und die Stille zwischen ihnen empfand Anna als fast ebenso beklemmend wie die vertrauliche Nähe zu Reed. Die Zwillinge erzählten derweil aufgeregt von ihrem Abenteuer, und Rafe warf hin und wieder eine Bemerkung ein oder stellte eine Frage, was Anna und Reed ganz allein in ihrem Schweigen zurückließ. Sie schloss die Augen und überlegte krampfhaft, was sie nur sagen könnte, um sich von dem abzulenken, was ihre Gedanken vollauf in Anspruch nahm - Reeds muskulösen Arm an ihrem Rücken zu spüren oder die flüchtige Berührung seines Schenkels, der während des Ritts immer wieder den ihren streifte.
Daher war sie zutiefst erleichtert, als sie Winterset endlich erreichten, Reed sich aus dem Sattel schwang und die Hand ausstreckte, um ihr vom Pferd zu helfen. Während er sie herunterhob, waren ihre Gesichter nur eine Handbreit voneinander entfernt, und ihre Blicke trafen sich. Seine Augen waren im schwachen Licht der Dämmerung von einem dunklen, geheimnisvollen Grau, und für einen seltsam schwachen Moment war es Anna, als könnte sie in die Tiefen dieser Augen sinken und sich für immer darin verlieren.
Doch dann hatte sie wieder festen Boden unter den Füßen, trat
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