Das Geheimnis zweier Ozeane
von Gibraltar noch den Indischen Ozean zu durchqueren, sondern Kap Hoorn zu umschiffen und Wladiwostok auf dem Wege durch den Stillen Ozean anzusteuern. Ferner erhielt Kapitän Woronzow die strikte Anweisung, die Fahrt in großer Tiefe fortzusetzen. Diese Änderung des Seeweges erforderte auch eine Umdisponierung in den Plänen der wissenschaftlichen Expedition. Das Flottenkommando wies darauf hin, daß der ursprüngliche Ankunftstermin in Wladiwostok, der 23. August, in jedem Fall eingehalten werden mußte.
Hätte Kapitän Woronzow diesen Funkspruch etwas früher erhalten, würde er zweifellos die Untergangsstelle der ,Diogenes‘, an der sich so viele Schiffe versammelt hatten und der geringste Zufall die Anwesenheit der ,Pionier‘ hätte verraten können, sofort verlassen haben. In diesem Fall wäre Pawliks Schicksal besiegelt gewesen.
Der U-Boot-Kommandant stand im Gang und las den entschlüsselten Funkspruch aufmerksam durch. Der Funker Pletnjow, ein kleiner hagerer Mann, stand vor ihm. An der linken Hand fehlten ihm zwei Finger – die Erinnerung an eine Polarstation auf einer der fernen Inseln der sowjetischen Arktis, wo er eine dramatische Begegnung mit einer Bärenmutter und ihren zwei Jungen gehabt hatte.
Der Funker wartete geduldig auf die Befehle des Kapitäns. Die dunkelrote Wandtäfelung des Ganges glänzte matt im Schein der elektrischen Leuchten. Aus einigen runden, von Schutzgittern umgebenen Luken drang das schwache surrende Geräusch der Schiffsmaschinen.
Schließlich sagte der Kapitän:
„Rufen Sie sofort die Offiziere zu mir, auch den Chef der wissenschaftlichen Expedition. Sie erscheinen natürlich auch.“
Ein paar Minuten später waren in der Kajüte des Kapitäns versammelt: der Erste Offizier Oberleutnant Bogrow, der Elektroingenieur Kornejew, der Chefakustiker Leutnant Tschishow, Professor Lordkipanidse, Kommissar Sjomin, der Taucherälteste Skworeschnja und der Bordfunker Pletnjow.
Die Kajüte des Kapitäns wurde durch einen Vorhang in zwei Räume geteilt, der kleinere diente als Schlafraum. In der Mitte des anderen Teiles stand ein großer Schreibtisch. Auf einem kleinen Tisch in einer Ecke befanden sich einige Navigationsgeräte, die automatisch dasselbe anzeigten wie die Geräte im Steuerraum. In einer anderen Ecke stand ein mit Büchern vollgepfropfter Schrank. An den Wänden hingen große Reliefkarten vom Meeresboden des Atlantischen, Stillen und Indischen Ozeans. Kleinere Karten zeigten Querschnitte der Ozeane und enthielten graphische Darstellungen von Stellen mit gleicher Temperatur, gleichem Salzgehalt und gleicher Dichte. Sie zeigten ferner die horizontalen und vertikalen Meeresströmungen sowie die großräumigen Luftströmungen.
Alle Anwesenden hatten bereits am Tisch Platz genommen. Der Kapitän sah jedoch immer wieder ungeduldig zur Tür.
„Wo bleibt nur Gorelow?“ fragte er schließlich den Funker.
„Er wollte sofort kommen.“
In diesem Augenblick wurde die Tür zurückgeschoben, und der Maschineningenieur Gorelow, ein hochgewachsener, knochiger Mann mit hängenden Schultern, betrat die Kajüte.
Sein großer Schädel und das längliche Gesicht mit den eingefallenen Wangen waren glatt rasiert. Dadurch traten die Backenknochen und der kantige Unterkiefer noch mehr hervor. Unter dichten Brauen glänzten tief in den Augenhöhlen liegende schwarze Augen.
„Ich bitte um Entschuldigung, Nikolai Borissowitsch“, sagte er, während er zu einem freien Stuhl an der Wand ging. „Man hat mich unterwegs aufgehalten.“
Der Kapitän nickte.
„Es handelt sich um folgendes“, begann er. „Ich habe gerade einen Befehl des Flottenkommandos erhalten. Unsere Route wird geändert. Die Straße von Gibraltar passieren wir nicht.“
Alle blickten erstaunt auf den Kapitän.
„Wir fahren nicht durchs Mittelländische Meer?“ fragte der Zoologe.
„Wie?“ fragte auch Gorelow verblüfft. Aber im nächsten Augenblick betrachtete er schon wieder gleichgültig seine Fingernägel.
„Sie wollten etwas sagen, Fjodor Michailowitsch?“ wandte sich der Kapitän an ihn.
„Nichts Besonderes, Nikolai Borissowitsch … ich war nur im ersten Moment etwas erstaunt.“
„Das ist verständlich“, bemerkte der Kapitän und fuhr fort: „Es geht jedoch nicht allein um die Änderung der Route. Der Befehl verlangt noch einmal die äußerste Geheimhaltung unseres Unternehmens. Deshalb muß ich darauf hinweisen, daß das U-Boot keinen Hafen anlaufen und auch jede Begegnung mit fremden
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