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Das Geheimnis zweier Ozeane

Das Geheimnis zweier Ozeane

Titel: Das Geheimnis zweier Ozeane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grigori Adamow
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daß es nicht Moose, sondern die Kolonien seltsamer Lebewesen – winziger Moostierchen – waren, die wie ein feines Spitzengewebe aussahen.
    Pawlik konnte sich nicht satt sehen an ihrer unaufdringlichen Schönheit. Sie erinnerten ihn an ein altes chinesisches Elfenbeinkästchen von kunstvoller, durchbrochener Arbeit, das er vor längerer Zeit seinem Vater zum Geburtstag geschenkt hatte. Bei dieser Erinnerung durchfuhr ihn ein Schreck. Heute, am 26. Mai, war ja der Geburtstag seines Vaters! Pawlik hatte früher diesen Tag mit großer Ungeduld erwartet. Welch schöner Tag das immer war! Und jetzt hatte er ihn fast vergessen!
    Der 26. Mai – der Gedanke an seinen Vater machte ihn traurig. Aber dann mußte er an etwas anderes denken. Der 26. Mai … irgendwie spielte doch dieses Datum auch noch aus einem ganz anderen Grund eine Rolle. Der 26. Mai … plötzlich zeigte sich vor ihm auf einem großen flachen Tangblatt etwas Grauweißes, Winziges, streckte Beinchen und Fühler hervor und bewegte kleine Scheren. Noch einen Augenblick, und eine olivenbraune kleine Krabbe, mit einem weißen Pünktchen auf dem Rückenschild, lief schnell über das Blatt; sie wich geschickt zierlichen Korallentierchen aus, die sich in einer kleinen Kolonie auf dem Blatt angesiedelt hatten. Am Blattrand streckte gerade ein kleines Würmchen seinen Körper aus einer gewundenen Muschel. Bevor es sich wieder verbergen konnte, packte die Krabbe es mit der Schere, zog es ganz aus der Muschel heraus und steckte es in ihre Mundöffnung.
    Das durch Pawlik und seine Schildkröte aufgeschreckte Meeresgetier verließ nun seine Verstecke und belebte bald wieder das Tangdickicht.
    Entzückt beobachtete der Knabe das ungewöhnliche Schauspiel um sich herum. Die weißen Flecke begannen sich zu bewegen; mal saßen sie auf dem Rücken einer dunkelgrünen Garnele oder einer olivenfarbenen Krabbe, dann wieder entpuppten sie sich als Kranz hellgrauer Fühler auf einer kleinen goldschimmernden oder orangefarbenen Seeanemone.
    „Die sind aber schlau“, sagte Pawlik staunend. „Wie sie sich verstellen.“
    „Wer ist schlau, Jungchen?“ hörte er plötzlich die Stimme des Zoologen. „Und wer verstellt sich?“
    Pawlik, in seine Beobachtungen versunken, daß er alles um sich herum vergessen hatte, antwortete nun sofort:
    „Hier leben eine Menge Tiere auf den Wasserpflanzen, und alle sehen sie wie Moostierchen aus. Ich konnte sie zuerst gar nicht unterscheiden.“
    „Ach so … das nennt man Mimikry: die Anpassung in Form und Farbe an andere Tiere und an ihre Umgebung. Es ist eine Schutzeinrichtung. So schützen sich die Tiere vor ihren Feinden.“
    Überall sah Pawlik jetzt seltsame Lebewesen, die er zuerst gar nicht bemerkt hatte. Sie waren nicht sehr groß – fünfzehn bis zwanzig Zentimeter lang – und hielten sich im Wasser in vertikaler Lage. Ihre Köpfe sahen Pferdeköpfen verblüffend ähnlich, nur daß ihr Maul zu einem Röhrchen geformt war. Auf dem Röhrchen ragten zwei lange knorpelartige Auswüchse nach oben. Am Hals sträubte sich eine schüttere Mähne. Der stark zusammengedrückte Rumpf endete in einem spiralförmigen Greifschwanz, verziert mit Höckern und buschigen Fäden. Gleich hinter dem Hals stand, wie ein ausgebreiteter Fächer, die Rückenflosse. Die Färbung dieser merkwürdigen Tiere war ein blasses Aschbraun, das ins Blaue und Grünliche schimmerte.
    Wie Schachspringer mit Schwänzen, dachte Pawlik.
    Es waren Seepferdchen, lustig anzuschauende Geschöpfe. In ganzen Schwärmen durcheilten sie den Tangwald, ihren Pferdekopf stolz erhoben und den Schwanz wie eine winzige Schiffsschraube bewegend.
    Pawlik beobachtete mit verhaltenem Atem diese komischen Tierchen. Plötzlich hing vor ihm unbeweglich ein Seepferdchen mit einem dicken Bäuchlein. Es glotzte, die kleine Mähne gesträubt, auf Pawlik. Die Haut auf der unteren Bauchhälfte des Seepferdchens bewegte sich kaum merklich und öffnete sich zu einem Spalt, aus dem ein kleines, spitzes Schnäuzchen lugte. Gleich darauf sprang ein winziges Seepferdchen heraus, dem großen ähnlich, aber so komisch anzuschauen, daß Pawlik laut auflachte. Dem ersten Miniaturpferdchen folgten einige Dutzend andere. Sie umkreisten in anmutigen Bewegungen ihr schwimmendes Haus und flitzten plötzlich wie auf Kommando in die rettende Bauchtasche, deren Eigentümer blitzartig verschwand.
    Pawlik sah nicht gleich, was diese lustige Familie so erschreckt hatte. Dann aber bemerkte er zwischen den sich leise

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