Das Geheimnis zweier Ozeane
bewegenden getüpfelten Tangblättern ein Augenpaar unter bogigen Wülsten, böse und schreckerregend. Pawlik sah dicke, fleischige Lippen und dazwischengeklemmt einen dünnen Tangzweig. Jetzt zeigte sich der ganze Kopf des unheimlichen Meeresbewohners – einem Bisonkopf ähnlich, mit zottigen Hörnern und lappigem Bart. Es schien, als sei der Fisch nur aus wehenden Zotten und Lappen zusammengeflickt, die bei ihm Flossen und Schwanz ersetzten und auf und unter dem Kopf, auf Wangen und Kiemendeckeln herumschlotterten. Zahllose große und kleine weiße Flecke waren auf dem ganzen Körper dieses ungewöhnlichen Fisches verstreut. Aber gerade diese lappigen Auswüchse und weißen Flecke machten ihn im Dickicht der getüpfelten, wehenden Tange fast unsichtbar.
Also auch eine Schutzeinrichtung, dachte Pawlik.
Reglos starrte der Fisch ein paar Augenblicke auf den Eindringling und schwamm dann, anscheinend beruhigt, auf einen dicken Tangschaft zu. Er stieß mit dem Maul gegen einen faustgroßen Höcker. Nur bei aufmerksamem Hinschauen konnte Pawlik feststellen, daß dieser Höcker ein richtiges Nest war und daß der seltsame Fisch den mitgebrachten Tangzweig daran befestigte. Der Zweig, vom Speichel des Fisches benetzt, haftete fest an der Nestwand.
„Jungchen!“ Die Stimme des Zoologen klang laut und ungeduldig. „Fange an zu peilen! Richtung: Südsüdost; Tiefe: 80 bis 85 Meter; Frequenz: 20 000 Hertz; Stromleistung: 80 Watt.“
Pawlik nahm vom Gürtel die flache Ultraschallpistole und stellte nach dem Kompaß die Richtung und nach dem Tiefenmesser die Tiefe fest. Dann hob er die Pistole, drückte auf einen Knopf am Griff und begann bogenförmige Bewegungen auszuführen, den Lauf allmählich immer tiefer senkend.
Pawlik hatte sechs Jahre seines Lebens fern von seiner Heimat in Amerika verbracht. Er wuchs ohne Mutter heran, die ein Jahr nach der Übersiedlung in das ruhige Quebec gestorben war, und ohne Geschwister und Spielgefährten.
Nach der Schiffskatastrophe kam Pawlik ganz unerwartet auf ein sowjetisches U-Boot, in die enge Gemeinschaft tapferer Männer und treuer Kameraden. Sie eroberten sich sein Herz durch ihren Lebensmut, ihre kameradschaftliche Verbundenheit und ihre Disziplin. Die kraftvolle, zärtliche und tapfere Heimat lernte Pawlik im engen Lebensraum der ,Pionier‘ kennen; sie nahm hier für Pawlik eine lebendige, wirklichkeitsnahe Form an, gab ihm Auftrieb und spornte ihn an, seinen neuen Freunden ähnlich zu werden.
In der kurzen Zeit nach seiner Rettung hatte Pawlik schon viel gelernt. Er kannte ausgezeichnet die Handhabung seines Taucheranzuges, den ihm Skworeschnja aus den kleinsten Reservestücken ausgesucht hatte; er verstand mit der Ultraschallpistole umzugehen, er wußte, wie man sie als Waffe und auch als Nachrichten- und Signalmittel gebrauchte. Er lernte es, sich mit Kompaß und Tiefenmesser auf dem Meeresboden zu orientieren, sein Funkgerät zu bedienen, mit Hilfe der Luftregler seines Taucheranzuges im Wasser auf- und niederzusteigen und die Schraube und das Steuer zu benutzen.
Deshalb hatte er auch so geschickt die Schildkröte verfolgt und nahm nun sicher mit seinen Freunden mit Hilfe seiner Ultraschallpistole Verbindung auf.
Es kam dabei darauf an, mit dem Ultraschallstrahl die Membrane auf der Brust eines seiner Freunde zu treffen. Dort verwandelte sich der Strahl in einen hörbaren Ton. Und an seiner Frequenz und Lautstärke konnte man feststellen, welche Richtung man einzuschlagen hatte, um zur Schallquelle zu gelangen …
Wenige Minuten später sagte der Zoologe, während er mit dem Buschmesser Pawliks Schraube von den Tangstengeln löste:
„Diese Schildkröte brauche ich nicht, Pawlik. Besser wäre es, du suchtest meine Lamelibranchiata cephala. Ich wage es kaum, meinen Namen dieser Klasse anzuhängen, die vorläufig nur in Gestalt eines einzigen Individuums existiert.“ Der Zoologe seufzte bekümmert.
„Seien Sie nicht traurig, Arsen Dawidowitsch“, tröstete ihn Pawlik. „Wenn nicht hier, dann eben woanders; aber finden werden wir diese cephala unbedingt.“
„Jetzt bist du befreit, Pawlik. Ein anderes Mal … Halt, was ist denn das?“ unterbrach sich der Zoologe.
Pawlik schaute in die Richtung, wohin sich Lordkipanidse umgedreht hatte. Durch die Tangschäfte sah der Junge die Gestalt eines großen Mannes in einem bläulichen Taucheranzug. Der Mann schwamm nach oben und hielt in den Händen drei grellrote Spiralschläuche. Der Taucher war vom Zoologen
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