Das Geheimnis zweier Ozeane
Ablagerungsprozesse vorherrschen, sondern daß auch Kräfte der Zerstörung am Werke sind. Das haben wir bereits auf dem Bildschirm gesehen, davon werden wir uns auch noch mit eigenen Augen überzeugen. Jawohl!“
„Aber wie geschieht denn das, wenn es auf dem Grund des Meeres weder Winde noch Flüsse gibt?“ fragte Gorelow, während er seinen Sauerstoffvorrat überprüfte.
„Winde gibt es nicht, statt der Flüsse jedoch gibt es Strömungen!“ antwortete Schelawin unwirsch. „Es kommt nur auf ihre Stärke und Stetigkeit an. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie daran erinnern, Genosse Gorelow, daß die Ozeanographie Gründe genug hat, anzunehmen, daß Tiefseeströmungen das Meeresbodenrelief beeinflussen.
Im Jahre 1883 stellte Bucanen fest, daß der Meeresboden zwischen den Kanarischen Inseln in einer Tiefe bis zu zweitausend Metern ganz schlammfrei ist, dagegen in zweitausendfünfhundert Meter Tiefe sich überall Schlamm vorfindet. Hier gibt es, genau wie auf dem Festland, tiefe Schluchten und steile Felsen. Ähnliche Beobachtungen machte 1886 Admiral Makarow an Bord der ,Witjas ‘ in der La-Pérouse-Straße. Was beweisen also diese und viele andere ähnliche Beobachtungen? Daß in bedeutenden Tiefen Meeresströmungen am Werk sind – nicht durch Winde verursacht, sondern stetig flutende, den Gezeiten vergleichbare.“
„Darf ich Sie unterbrechen, Genosse Schelawin“, sagte Skworeschnja, der in der Druckkammer seinen Rückenbehälter anlegte. „Für wieviel Stunden hast du die Taucheranzüge mit Sauerstoff versogt?“ wandte er sich an Matwejew, zu dessen Pflichten es gehörte, die Taucheranzüge des U-Bootes in Ordnung zu halten.
„Wie immer, Andrej Wassiljewitsch, für sechs Stunden – sechs Patronen.“
„Mit komprimiertem also?“
„Jawohl!“
„Auswechseln! Jeden Taucheranzug mit sechs Patronen flüssigem Sauerstoff versehen! Aber schnell!“
Matwejew wunderte sich, stürzte aber davon.
Skworeschnja wurde sofort mit Fragen bestürmt:
„Warum das? Wozu brauchen wir einen so großen Vorrat?“
Skworeschnja winkte ab.
„Fragen Sie doch Iwan Stepanowitsch“, brummte er, auf Schelawin zeigend.
Schelawin blinzelte nur verlegen mit seinen hellen Augen.
„Ich verstehe nicht … wieso soll ich das wissen?“
„Erlauben Sie mal, Iwan Stepanowitsch, Sie haben uns doch gerade so eindringlich vor den vielen Felsen, Gipfeln und Schluchten gewarnt! Da muß man sich sichern! In dieser unterseeischen Schweiz kann man sich doch leicht verirren. Nicht wahr?“
Schelawin blieb nichts weiter übrig, als mit dem Kopf zu nicken.
Kurze Zeit später traten alle Exkursionsteilnehmer auf die Plattform hinaus. Der Strahl des riesigen Scheinwerfers konnte kaum das Wasser durchdringen, das beim Stoppen des U-Bootes durch aufgewirbelten Schlamm trübe geworden war.
Die Schrauben traten in Tätigkeit, und die Taucher entfernten sich mit einem Zehntel der vollen Geschwindigkeit vom U-Boot. Bald war das verschlammte Wasser durchschwommen. Die kegelförmigen Lichtstrahlen der kleinen Stirnlaternen erhellten einige Dutzend Meter voraus die Nacht der Tiefsee.
Ab und zu ließ sich der Zoologe schnell zum Meeresboden gleiten, nahm etwas auf und steckte es triumphierend in seine große Exkursionstrommel – eine sich schlängelnde, zappelnde oder gallertartige Beute.
Etwas weiter entfernt leuchteten Gorelows, Marats und Pawliks Stirnlaternen. Schelawin war mit Skworeschnja und Matwejew vorausgeeilt; sie sahen von weitem wie zerfließende gelbe Nebelflecke aus.
Die Stille wurde nur von gelegentlichen Ausrufen und Fragen unterbrochen. Plötzlich rief Marat:
„Eine Aszidie * , Arsen Dawidowitsch! Eine riesige weiße Aszidie! Zum erstenmal sehe ich ein solches Prachtexemplar! Wollen Sie sie haben?“
„Wie sieht sie aus?“
„Sie ist unwahrscheinlich schön … sieht fast wie ein griechischer Krug aus und sitzt auf einem langen Stiel …“
„Was sagst du da, Marat?“ rief der Zoologe erregt aus. „Wenn das eine ›Hippobitia calicoda‹ ist, dann bekommst du sofort einen Kuß von mir!“ Und er stürzte unter dem Gelächter der anderen auf Marat zu.
„Ein Königreich gäbe ich dafür, diesen Kuß zu sehen“, sagte Gorelow lachend. „Einen Kuß durch zwei Taucherhelme!“
„Notfalls bleibe ich ihn Marat schuldig“, scherzte der Zoologe. „Für eine Tiefsee-Aszidie, die man bisher nur im nördlichen Pazifik gefunden hat, täte mir auch das Reich des Schahs von Persien nicht leid …
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