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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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entzweizureißen …
    … und hielt inne, erschreckt über sich selbst und seinen Mangel an Ehrgefühl, das ihm gebot, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Er musste dem Recht und der Gerechtigkeit dienen, auch wenn es ihn das Leben kostete. Widerwillig faltete Sano den Brief zusammen und steckte ihn in den Beutel an seiner Schärpe, in dem sich bereits Harumes Geldbeutel mit den Fingernägeln und Haarbüscheln befand. Sano beschloss, den Brief so lange wie möglich zurückzuhalten. Doch wenn er keine Beweise fand, die Leutnant Kushida, Konkubine Ichiteru, die Miyagis oder jemand anders eindeutig des Mordes an Harume überführten, würde er den Brief von Fürstin Keisho-in ins Spiel bringen müssen.

20.
    E
    in Trupp berittener Samurai trabte langsam über die Fernstraße in den westlichen Außenbezirken Edos. Das Wappen der Tokugawa, die dreifache Malve, zierte die Pferdedecken, die Flaggen der Reiter und die große schwarze Sänfte, die dem Trupp folgte. In den beiden offenen Fenstern der Sänfte waren zwei Gesichter zu sehen.
    Das Doppelkinn von Fürstin Keisho-in schwabbelte im Rhythmus der Schritte ihrer Sänftenträger, während sie den Blick über die Landschaft schweifen ließ. »Wundervoll!«, rief sie aus und betrachtete entzückt das leuchtend rote und goldene Blätterwerk der Bäume und die nebelverhangenen Hügel im Hintergrund. Ihre geschwärzten Zähne bildeten einen hässlichen Kontrast zu ihrem weiß gepuderten Gesicht und den rot geschminkten Lippen. »Ich kann es kaum erwarten, den Ort zu sehen, an dem in Kürze der Hundepalast der Tokugawa stehen wird. Wir müssten bald dort sein, nicht wahr?«
    Der Mann, der Keisho-in in der Sänfte gegenübersaß, betrachtete die Fürstin. Er besaß ein schön geschnittenes Profil, dichte Brauen, eine lange Nase, schwerlidrige Augen und die vollen, geschwungenen Lippen einer Buddha-Statue. Sein kahl rasierter Kopf ließ die Form der Schläfen- und Schädelknochen erkennen. Priester Ryuko war 42 Jahre alt und seit zehn Jahren der Gefährte und geistige Führer von Keishoin. Seine enge Verbindung zur Mutter des Shôguns machte ihn zum höchstrangigen Priester Japans, der durch die Fürstin einen zwar indirekten, aber erheblichen Einfluss auf Tokugawa Tsunayoshi besaß. Er war es auch gewesen, der diesen Ausflug vorgeschlagen hatte, wie schon viele andere Unternehmungen und Ausflüge zuvor. Trotz des kalten, feuchten Wetters hatte Fürstin Keisho-in sich einverstanden erklärt – wie jedes Mal, wenn Ryuko irgendeinen Vorschlag machte. Diesmal hatte er die Fürstin davon überzeugt, dass es erforderlich sei, den Fortgang der Arbeiten am Hundepalast der Tokugawa zu inspizieren, ein besonderes Bauvorhaben der Fürstin.
    In Wahrheit hatte Ryuko ein anderes, eigennütziges Motiv. Der Hundepalast würde erst in einigen Jahren fertig gestellt sein; außerdem waren Rat und Hilfe der Fürstin bei der Errichtung der Bauten ohnehin nicht erforderlich. Nein, in Wahrheit hatte Ryuko wichtige geschäftliche Dinge mit Keisho-in zu besprechen, und das fernab vom Palast zu Edo und seinen ungezählten Spitzeln. Die Zukunft der Fürstin – und damit auch Ryukos – könnte vom Ausgang der Ermittlungen im Mordfall Harume abhängen. Sie mussten ihre beiderseitigen Interessen schützen.
    »Wir sind bald am Ziel«, sagte Ryuko nun und zupfte die weichen Decken zurecht, in die Keisho-in gehüllt war, sodass sie bequemer saß. Dann wärmte er ihre alten, knorrigen Finger zwischen seinen kräftigen Händen und fügte lächelnd hinzu: »Habt noch ein wenig Geduld, Herrin.«
    Keisho-in seufzte behaglich und genoss Ryukos zärtliche Zuwendung. Schließlich wurde die Sänfte um eine Biegung getragen, und Ryuko beugte sich aus dem Fenster und befahl den Trägern, stehen zu bleiben. Dann half er Keisho-in heraus und legte ihr einen gefütterten Umhang über die Schulter. Im Osten breiteten sich Felder aus; in der Ferne waren die Strohhütten eines Dorfes zu erkennen; dahinter befand sich die Stadt, unsichtbar hinter einem weißen Sargtuch aus Nebel, und erstreckte sich bis zum Fluss Sumida. Auf der westlichen Seite der Straße war ein riesiges Waldstück gerodet worden; nun war es nur noch ein Ödland voller hässlicher Baumstümpfe. Waldarbeiter fällten weitere Bäume; das Schlagen ihrer Äxte schallte über die Hügel hinweg. Arbeiter hackten die Äste ab und zersägten die Stämme. Vorarbeiter im Range von Samurai beaufsichtigten und leiteten die Arbeiten. Mehrere Baumeister standen

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