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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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geistigen Führer der Fürstin, verließ den Zôjô-Tempel und zog in private Gemächer im Palast zu Edo, sodass Keisho-in sich Rat bei ihm holen konnte, wann immer sie wollte. Die Fürstin überschüttete Ryuko und seinen Orden mit Geschenken. Der Tempel wurde immer prächtiger, seine Bewohner wohlhabender. Sklavisch befolgte Keisho-in jeden Rat des Priesters und sorgte häufig dafür, dass auch der Shôgun sich an dessen Weisungen hielt. Das Geld strömte nur so aus der Schatzkammer der Tokugawa und wurde für den Bau weiterer Tempel und wohltätige Zwecke verwendet. Dafür zahlte Ryuko gerne den Preis, mit einer unansehnlichen Frau zusammen zu sein, die zwanzig Jahre älter war als er.
    Obwohl er seine Gönnerin weder liebte noch begehrte, tat er alles, um ihre Leidenschaft für ihn zu entfachen. Er gab sein enthaltsames Leben auf und wurde zum Geliebten der Fürstin. Er ertrug ihre Launen, erfüllte ihre Forderungen, und schmeichelte ihrer Eitelkeit. Doch trotz seiner Verachtung für die ordinäre und einfältige Keisho-in entwickelte Ryuko eine Art Kameradschaftsgefühl; schließlich waren sie beide gemeine Bürger gewesen, die in unerwartete Höhen aufgestiegen waren. Und Ryuko war der Fürstin aufrichtig dankbar dafür, dass sie ihm alles gab, was er wollte: Macht und Reichtum, spirituelle Erfüllung und die Gelegenheit, Gutes zu tun.
    Auf diese für beide Seiten zufrieden stellende Weise verbrachten sie ein Jahrzehnt miteinander. Ryuko hatte erwartet, ihre Bindung würde bis in alle Ewigkeit bestehen bleiben. Die für eine Frau ihres Alters sehr gesunde Keisho-in schien noch ein langes Leben vor sich zu haben, und Tokugawa Tsunayoshi war jung genug, um das Amt des Shôguns noch viele Jahre auszuüben. Doch mit dem Tod von Konkubine Harume hatte sich alles geändert; die Zukunft schien ungewiss. Ryuko wusste, wie kurzlebig im bakufu Macht und Reichtum sein konnten; manchmal vermochte ein bloßes Gerücht ein Leben zu zerstören. Die Nachforschungen sôsakan Sanos stellten eine schreckliche Bedrohung für Fürstin Keisho-in dar. Und diese Bedrohung besaß Tentakel wie ein Tintenfisch; die Greifarme konnten all jene packen und erwürgen, die zum inneren Kreis der Fürstin zählten – darunter auch Ryuko.
    »Meine Informanten haben mir berichtet, dass sôsakan Sano bei der Suche nach Harumes Mörder überaus gründliche Arbeit leistet«, bemerkte Ryuko und lenkte damit das Gespräch behutsam auf den Mann, der ihm die größten Sorgen bereitete. »Überall im Inneren Schloss sind seine Sonderermittler mit der Spurensuche beschäftigt. Und Hirata geht Hinweisen nach, die ihn zu dem Gift führen könnten, mit dem Harume ermordet worden ist. Leutnant Kushida steht unter Hausarrest, wurde aber noch nicht des Mordes angeklagt. Wie es aussieht, ist Sano bereit, auch den beschwerlichsten Weg zu gehen, um die Wahrheit zu ergründen. Für dieses Ziel setzt er seinen Ruf und sein Leben aufs Spiel. Die Folgen sind ihm egal. Und das bedeutet …«
    Ryuko hielt inne. Dann – weil die beschränkte Fürstin versteckte Andeutungen nur selten verstand – fügte er eine deutliche Warnung hinzu: »Unter diesen Umständen dürfte äußerste Vorsicht angebracht sein. Der sôsakan ist ein sehr tüchtiger Mann.«
    »O ja, er ist ein sehr guter Ermittler«, bestätigte Keisho-in, denn sie hatte wieder nicht begriffen, worauf Ryuko hinauswollte. »Und den jungen Hirata mag ich sehr.« Sie kicherte. »Ich glaube, er mag mich auch.«
    Wie konnte sie in Zeiten wie diesen nur so frivol sein? Ryuko verbarg seine Ungeduld. »Herrin«, sagte er, »Sanos Ermittlungen könnten Dinge zutage fördern, die einigen Personen sehr schaden würden. Niemand kann sicher sein, dass er nicht genauestens überprüft wird.«
    »Ihr redet wieder so, dass ich kein Wort verstehe!«, beklagte sich die Fürstin. »Wovon sprecht Ihr eigentlich? Wer ist in Gefahr?«
    Ihre Begriffsstutzigkeit ließ Ryuko keine andere Wahl, als offen zu sprechen. »Ihr selbst, Herrin«, antwortete er widerstrebend.
    »Ich?« Keisho-ins wässrige Augen weiteten sich vor Erstaunen. Offenbar hatte sie noch keinen Gedanken daran verschwendet, inwieweit die Ermittlungen sie selbst betreffen könnten. Dann lächelte sie, streckte den Arm aus und tätschelte Ryukos Arm. »Ich weiß Eure Besorgnis zu schätzen, Liebster, aber ich habe weder von Sano noch von sonst irgendjemandem etwas zu befürchten.«
    Verwirrt musterte Ryuko die unschuldige Miene der Fürstin. Er war der Meinung gewesen,

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