Das Geheimnis
hatte, sodass es zu weiteren Morden gekommen war.
»Und damit nicht genug«, fuhr Makino fort. »Viele Menschen weigern sich zu glauben, dass eine Konkubine das wahre Ziel des Mörders gewesen ist. Hier im Palast fürchtet man sich jetzt davor, überhaupt noch etwas zu essen oder zu trinken.« Er ließ den Blick über die unangetasteten Teeschalen schweifen, die vor seinen Amtskollegen standen. »Diener haben ihre Stellen aufgekündigt. Beamte sind aus Edo geflüchtet – unter dem Vorwand, dringende Amtsgeschäfte in den Provinzen erledigen zu müssen.« Deshalb wirkt der Palast so verlassen, dachte Sano. »Wenn es so weitergeht, werden bald nicht mehr genügend Beamte hier sein, um auch nur die Verwaltung der Hauptstadt aufrechtzuerhalten.« Makino blickte den Shôgun an. »Deshalb rate ich Euch dringend, entschlossene Schritte zu unternehmen, um eine Katastrophe abzuwenden.«
Während Makino sprach, hatte Tokugawa Tsunayoshi sich wie ein ängstliches Kind zusammengekauert. Nun warf er verzweifelt die Hände in die Höhe. »Ich … äh, ich weiß nicht, was ich überhaupt noch tun soll«, jammerte er, schaute sich Hilfe suchend um und erblickte Sano. »Aaah!«, rief er aus und winkte ihn zu sich. »Das ist der Mann, der dafür sorgen kann, dass alles wieder seinen geordneten Gang geht. Sagt uns bitte, sôsakan Sano, ob Ihr schon herausgefunden habt, wer Konkubine Harume getötet hat.«
Von Hirata begleitet näherte Sano sich widerstrebend dem Podium; dann knieten beide Männer auf der höher gelegenen Ebene des Fußbodens nieder und verneigten sich vor den Versammelten. »Zu meinem Bedauern muss ich Euch melden, Herr, dass die Ermittlungen in diesem Mordfall noch nicht abgeschlossen sind«, wandte Sano sich an den Shôgun und warf einen unbehaglichen Blick auf Kammerherr Yanagisawa, der diese Gelegenheit gewiss beim Schopf packen würde, um seinen Erzrivalen zu verunglimpfen. Doch Yanagisawa schien mit sich selbst beschäftigt; sein düsterer Blick war nach innen gerichtet. Sano, dessen Zuversicht ein wenig wuchs, berichtete den Versammelten vom neuesten Stand der Ermittlungen.
Doch nun übernahm Makino, der Vorsitzende des ältesten Staatsrates, Yanagisawas gewohnte Rolle als Sanos unerbittlicher Widersacher. »Also habt Ihr bis jetzt nicht herausgefunden, woher das Gift stammt. Und Leutnant Kushida steht unter Arrest, weil er Euch angegriffen und versucht hat, Beweisstücke zu stehlen. Dennoch seid Ihr sicher, dass Kushida nicht der Mörder ist. Das alles erscheint mir arg verworren. Was ist mit Konkubine Ichiteru?«
Hirata räusperte sich. » Sumimasen – verzeiht«, sagte er. »Wir haben keine Beweise gegen sie.«
Sano bedachte ihn mit einem verdutzten Blick. Bei Sitzungen wie dieser meldete Hirata sich sonst nur dann zu Wort, wenn er angesprochen wurde, und soviel Sano wusste, gab es zwar keinen Beweis gegen Ichiteru, aber auch keinen Beweis, der für ihre Unschuld sprach. Sano hätte Hirata vor der Versammlung widersprechen können, beschloss aber, seinen Gefolgsmann erst nach dem Treffen zu fragen, was bei Ichiterus Vernehmung geschehen war und weshalb er sich so eigenartig verhielt.
»Nun, wenn weder Leutnant Kushida noch Konkubine Ichiteru die Mörder gewesen sein können«, sagte Makino, »habt Ihr zwei Verdächtige weniger als gestern.« Er wandte sich an Kammerherr Yanagisawa. »Ein schlimmer Rückschritt, meint Ihr nicht auch?«
Yanagisawa, aus seiner Versunkenheit gerissen, fuhr Makino mit scharfer Stimme an: »Einen so schwierigen Fall wie diesen abzuschließen, braucht es mehr als zwei Tage! Was erwartet Ihr? Ein Wunder? Lasst dem sôsakan Zeit, und er wird Erfolg haben wie bisher noch jedes Mal!«
Makinos Kinnlade klappte herunter. Sano war nicht minder erstaunt. Kammerherr Yanagisawa stellte sich bei einer Ratssitzung auf seine Seite? Sanos Misstrauen gegenüber seinem alten Feind wuchs immer mehr. Wollte Yanagisawa ihn ermuntern, die Nachforschungen so weiterzuführen wie bisher, weil sie in die falsche Richtung führten – fort von irgendetwas, das Yanagisawa zu verbergen suchte? Aber weshalb? Es gab keinen Hinweis darauf, dass der Kammerherr auf irgendeine Weise in den Mord verwickelt war. Und keiner von Sanos Informanten hatte berichtet, dass Yanagisawa eine neuerliche Verschwörung gegen seinen Erzfeind plante.
»Ich habe herausgefunden, woher die Tusche stammt«, wandte Sano sich an die Versammlung. »Fürst Miyagi hat zugegeben, dass er sie Harume geschickt hat – zusammen mit
Weitere Kostenlose Bücher