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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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sôsakan Sano? Weshalb sollten wir Euch glauben?«
    Kalter Schweiß lief Sano den Rücken hinunter. Seit fast zwei Jahren hatten er und Dr. Ito bei Ermittlungen in Mordfällen wiederholt Obduktionen in der Leichenhalle von Edo vorgenommen, was jedoch als schweres Verbrechen galt. Kam dies ans Tageslicht, würde Sano in die Verbannung geschickt. Fieberhaft versuchte Sano, sich eine glaubhafte Lüge auszudenken. Hirata, der natürlich von der Leichenöffnung wusste, hatte den Kopf gesenkt und wartete auf Sanos Geständnis und das vernichtende Urteil seiner Vorgesetzten.
    Plötzlich meldete Kammerherr Yanagisawa sich zu Wort. »Die Tatsache, dass Konkubine Harume ein Kind erwartet hat, ist viel wichtiger als die Frage, wie sôsakan Sano an seine Information gelangt ist. Und wenn er es sagt, dann stimmt es auch. In einer so bedeutenden Angelegenheit würde er keinen Fehler begehen.«
    »Jawohl, ehrenwerter Kammerherr«, gestand der zunehmend fassungslose Makino seine Niederlage ein.
    Sano war gerettet – ausgerechnet von dem Mann, der bislang sein erbittertster Feind gewesen war und immer wieder versucht hatte, seinen Gegner zu vernichten! Einen Augenblick lang war Sano zu dankbar, als dass er sich nach dem Grund für Yanagisawas Sinneswandel gefragt hätte, bis die Erleichterung von ihm abfiel und er sich wieder der seltsamen Wandlung bewusst wurde, die mit dem Kammerherrn vor sich gegangen war. Yanagisawas Augen funkelten; die Nachricht, dass mit Harume auch das ungeborene Kind des Shôguns getötet worden war, schien ihm frische Kraft zu verleihen. Sano vermutete, dass den Kammerherrn die Nachricht vom Tod des Ungeborenen aus denselben Gründen freute wie Fürstin Keisho-in: Ein Thronerbe hätte seinen Rang gefährdet. Aber weshalb hätte Yanagisawa Harume ermorden sollen, wenn er nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst hatte?
    Der Shôgun reckte die Faust zum Himmel und rief mit schriller Stimme: »Welch eine Gräueltat! Welch ein Skandal!« Sein Schluchzen erfüllte die Halle.
    Doch Sano musste noch ein weiteres unangenehmes Thema zur Sprache bringen. Er wählte seine Worte mit Bedacht, als er sich wieder an den Shôgun wandte: »Mein Fürst, es gibt da noch … gewisse Fragen, was, äh … die Vaterschaft von Harumes Kind betrifft. Schließlich hatte sie ein … Verhältnis mit Fürst Miyagi, vielleicht auch mit Leutnant Kushida. Wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass …«
    Mit tränenüberströmtem Gesicht starrte der Shôgun Sano an. »Unsinn! Harume war mir treu! Niemals hätte sie sich von einem anderen Mann berühren lassen! Das Kind war von mir! Es wäre mein Nachfolger als … äh, Herrscher Japans geworden.«
    Die Fünf Ältesten wagten nicht einander anzublicken. Yanagisawa – ein Bild beherrschter Energie – hüllte sich in Schweigen. Alle kannten Tokugawa Tsunayoshis sexuelle Vorlieben, doch niemand wagte es, seine Männlichkeit in Frage zu stellen, und von sich aus würde der Shôgun niemals zugeben, dass ein anderer Mann erfolgreich gewesen war, wo er versagt hatte.
    »Der Mord an meinem Erben ist … äh, Hochverrat schändlichster Art, der mit aller Härte gesühnt werden muss!« Mit düsterer Miene zog Tokugawa Tsunayoshi sein Schwert. Einen Augenblick lang wirkte er wie ein wahrer Nachfahre des großen Ieyasu, der rivalisierende Kriegsherrn in der Schlacht besiegt und Japan geeint hatte. Dann aber ließ er das Schwert wieder sinken und brach in Tränen aus. »Aber wer hat dieses schreckliche Verbrechen begangen? Wer hatte einen Grund dazu?«
    Plötzlich wurden die Türen geöffnet, und alle Versammelten schauten zum Eingang des Saals. Wer besaß die Dreistigkeit, eine Krisensitzung der höchsten Würdenträger des Landes zu stören?
    Fürstin Keisho-in betrat trippelnd den Saal.
    Fassungslos betrachtete Sano die Mutter des Shôguns. Beinahe hätte seine innere Spannung sich in wildem Gelächter gelöst, als er dann den Blick durch den Saal schweifen ließ. Hätte einer der Anwesenden den Brief von Keisho-in gelesen, hätte auch er den sicheren Verdacht gehabt, die Mörderin Harumes vor sich zu sehen.
    Die Fünf Ältesten und Kammerherr Yanagisawa verneigten sich ehrerbietig vor der Fürstin, welche das Recht hatte, in der Versammlung zu erscheinen, wann immer sie wollte. Mit dem gekünstelten Lächeln einer Kurtisane bei der Frühjahrsparade in Yoshiwara erwiderte die Fürstin die Verneigungen. Der Shôgun begrüßte das Erscheinen seiner Mutter mit einem freudigen

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