Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
ihn eine innere Stimme. Trotzdem … Er durfte Ichiteru keiner Gefahr aussetzen, indem er sie zwang, ihre Aussagen im Palast zu machen, wo es von Spitzeln nur so wimmelte. Außerdem sehnte er sich danach, außerhalb der Palastmauern die Möglichkeit einer näheren Bekanntschaft mit dieser Frau zu erkunden – frei von den Beschränkungen, die Pflicht und Umsicht ihm auferlegten.
    »Nein, Ihr könnt gehen«, sagte Hirata schließlich. »Ich vernehme die Konkubine erst morgen.« Dann würde er entscheiden, ob er Ichiterus Einladung annehmen sollte oder nicht. Doch tief in Hiratas Innerem schrie ein Stimme warnend auf.

23.
    S
    elbst für einen kalten Abend im Herbst war das Palastgelände eigenartig leer und verlassen, als Sano und Hirata durch den Garten gingen. Kirschbäume reckten ihre kahlen schwarzen Äste in einen rußfarbenen Himmel; Feuchtigkeit schimmerte auf den Felsblöcken, die den Garten zierten, und Laub bedeckte den Rasen. Ein einsamer Wachsoldat drehte seine Runden. Sano nutzte die Gelegenheit, Hirata ungestört von den Ergebnissen seiner neuesten Ermittlungen zu erzählen, bevor er dem Shôgun darüber Bericht erstattete. Zum Schluss zeigte er Hirata den Brief, den er in Harumes Gemach gefunden hatte.
    Hirata las das Schreiben und sog zischend die Luft ein. »Werdet Ihr diesen Brief dem Shôgun zeigen?«
    »Habe ich eine andere Wahl?«, erwiderte Sano voller Bitterkeit und schob den Brief wieder unter seine Schärpe.
    Am Tor zum Inneren Schloss, dem eigentlichen Palast des Shôguns, sagte der Wachposten: »Der Shôgun nimmt zurzeit an einer Krisensitzung des ältesten Staatsrates teil. Seine Hoheit und die Ältesten erwarten Euch bereits in der Großen Audienzhalle.«
    Sano lief ein eisiger Schauder über den Rücken. Solche Ratstreffen bedeuteten stets, dass ihm Ärger ins Haus stand. Er wünschte, seinen Bericht aufschieben und damit die unvermeidlichen Auswirkungen hinauszögern zu können, doch eine solche Rückzugsmöglichkeit gab es nicht. Mit Hirata an seiner Seite schritt er durch die Gänge des Schlosses. Wachposten öffneten ihm mächtige Doppeltüren, die mit Schnitzereien verziert waren, welche düster dreinblickende Schutzgötter zeigten. Sano holte tief Atem; dann betraten er und Hirata die Große Audienzhalle.
    Leuchtende Laternen hingen von der kassettierten Decke herab. Auf dem Podium kniete Tokugawa Tsunayoshi; sein schwarzer zeremonieller Umhang hob sich vor dem Hintergrund eines Wandgemäldes ab, das eine vergoldete Landschaft zeigte. Kammerherr Yanagisawa hatte seinen gewohnten Platz zur Rechten des Shôguns eingenommen, auf der höheren der beiden Ebenen des Fußbodens. Neben ihm, auf derselben Ebene, knieten die Fünf Ältesten im rechten Winkel zu ihrem Herrn. Doch es war kein Schreiber zu sehen. Nur der oberste Diener Tokugawa Tsunayohis befand sich im Saal, schenkte Tee ein und ging mit Tabak und kleinen Metallkörben voll glühenden Kohlen umher, die zum Anzünden der Pfeifen dienten. Bei Krisensitzungen wie dieser durften keine Bediensteten zugegen sein, wenn es nicht unbedingt erforderlich war.
    Nachdem Sano und Hirata sich im hinteren Teil des Saales niedergekniet hatten, wandte Makino, der Vorsitzende des ältesten Staatsrates, sich an den Shôgun. »Wir bitten um Verzeihung, mein Fürst, dass wir dieses Treffen so kurzfristig einberufen haben, aber der Mord an Konkubine Harume hat einige beunruhigende Vorfälle nach sich gezogen. Um den Mord zu sühnen, hat der oberste Befehlshaber der Wachmannschaft des Inneren Schlosses seppuku begangen. Eine Vielzahl von Gerüchten breitet sich aus. Anschuldigungen werden erhoben. Eine betraf Kato Yuichi, ein Mitglied Eures Gerichtsrates. Sagara Fumio, sein Amtskollege und Widersacher, hat die Geschichte verbreitet, Kato habe Konkubine Harume ermordet, weil er an ihr das Gift habe erproben wollen, denn er habe die Absicht gehabt, eine Reihe hoher Beamter durch Giftanschläge beseitigen zu lassen. Kato stellte Sagara zur Rede, und es kam zu einem Schwertkampf. Nun sind beide Männer tot, und im Gerichtsrat herrscht das Chaos, weil die Mitglieder einander bekämpfen, um in die frei gewordenen höheren Ränge aufzusteigen.«
    Es war genau so, wie Sano befürchtet hatte: Der Mord hatte schlummernde Feindseligkeiten im bakufu zum Ausbruch kommen lassen; die Militärregierung glich einem Pulverfass, das jederzeit explodieren konnte. Schreckliche Erinnerungen an frühere Fälle kehrten wieder – Fälle, die Sano nicht schnell genug gelöst

Weitere Kostenlose Bücher