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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Mal war seine Liebe zur Waffenkunst stärker als seine Überzeugung, dass eine Frau den Kampf mit der Waffe nicht praktizieren sollte, und nach kurzer Zeit waren er und Reiko in eine angeregte Diskussion über kenjutsu vertieft. Da Reiko genauso viel darüber gelesen hatte wie Sano, war es eines der erbaulichsten Gespräche, die er je über den Schwertkampf geführt hatte. Reikos Klugheit beeindruckte ihn, und voller Freude beobachtete er, wie ihre Augen vor Begeisterung strahlten. Sie rückte näher an Sano heran; ihre Haltung wurde entspannter, und ihr Lächeln spiegelte seine Freude über ihr gemeinsames Interesse wider. Inzwischen glaubte Sano, dass sie doch zu ihm gekommen war, weil sie ihn hatte sehen wollen; schließlich hätte sie auch eine Dienerin schicken können, um ihm die Botschaft ihres Vaters zu überbringen. Und auch Reiko spürte die gegenseitige Anziehung, die plötzlich zwischen ihr und Sano entstanden war.
    Dann, mitten in einer leidenschaftlichen Diskussion über die Vorteile eines speziellen Kampfstils, wurde Sano bewusst, dass er den gleichen Fehler machte, den auch Magistrat Ueda begangen hatte und den dieser nun so bitter bereute: Er, Sano, ermutigte Reiko, sich mit Dingen zu beschäftigen, die üblicherweise Männern vorbehalten waren.
    Dieser Gedanke ließ sich offenbar in Sanos Gesicht ablesen, denn Reiko verstummte plötzlich mitten im Satz, und ein Ausdruck der Trauer erstickte den Funken der Begeisterung in ihren Augen. »Es ist schon spät«, sagte sie bedauernd. »Ich sollte dich nicht länger von der Arbeit abhalten.« Als ihre Kameradschaft starb, kaum dass sie geboren war, schien es im Gemach schlagartig kälter zu werden. »Gute Nacht, ehrenwerter Gatte.« Reiko verbeugte sich und stand auf.
    »Warte«, sagte Sano. Als Reiko an der Tür innehielt und fragend zu ihm zurückblickte, hätte er ihr am liebsten gesagt: Mich mit Harumes früherem Leben zu beschäftigen, hat mir die Augen geöffnet. Ich habe begriffen, was es für eine Frau bedeutet, in einer Männerwelt zu leben. Ich habe die Grausamkeit einer Gesellschaft erkannt, die es den Frauen verweigert, ihr eigenes Leben zu führen. Ich weiß, wie du fühlst!
    Dennoch … Sano wollte nicht, dass Reiko in die Ermittlungen bei einem Mordfall verwickelt wurde, der nun, da er Fürstin Keisho-in auf die Liste der Verdächtigen gesetzt hatte, noch viel gefährlicher geworden war. Außerdem zweifelte Sano noch immer an Reikos Fähigkeit, Ermittlungsergebnisse zu erzielen, die es wert waren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Fieberhaft suchte er nach einem unverfänglichen Thema, doch was er auch sagte, konnte unter den gegebenen Umständen nur dazu führen, dass ihre Probleme irgendwann erneut zur Sprache kamen – Reikos Streben nach Unabhängigkeit und Sanos Autorität als Ehemann-, und dass ihr Gespräch in einen weiteren Streit mündete.
    »Schlaf gut«, sagte Sano schließlich.
    Die Seide von Reikos Nachtgewand raschelte leise, als sie durch die Tür schlüpfte und sie behutsam hinter sich schloss. Ein paar Augenblicke lang fühlte Sano noch ihre Gegenwart – wie ein klarer, kühler Bach, der sich sein Bett in das Grundgestein seiner Seele gegraben hatte und nun verebbte. Dann saß er niedergeschlagen und ratlos an seinem Schreibpult. Wenn es ihnen nicht gelang, dieses Hindernis zu überwinden, waren sie dazu verdammt, wie Fremde zu leben – zusammen und doch getrennt. Die Liebe erschien Sano in diesen Sekunden wie ein hoffnungsloser, ferner Traum.
    Obgleich er wusste, dass es nicht gut für ihn war, schenkte er sich noch eine Schale Sake ein. Als er den inzwischen handwarmen Reisschnaps trank, wandte er seine Gedanken einem anderen unglücklich Verliebten zu: Leutnant Kushida. Der Offizier der Palastwache stellte für Sano noch immer die beste Möglichkeit dar, die Ermittlungen zu einem raschen Abschluss zu bringen, ohne sein Leben oder das anderer Menschen zu gefährden. Doch während Sano nun die Berichte seiner Beamten über den Leutnant durchging, wurde seine gedrückte Stimmung immer düsterer: In Kushidas Vorleben fanden sich keine belastenden Hinweise, und auch in seiner Unterkunft waren keine Beweisstücke gefunden worden, mit denen seine Schuld sich einwandfrei hätte nachweisen lassen.
    Sano war wieder genau an dem Punkt, an dem er begonnen hatte: bei Kushidas Aussage und dem versuchten Einbruchdiebstahl.
    Seufzend holte er Harumes Tagebuch aus einer Schublade seines Schreibpults. Während er müßig die Seiten

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