Das Geheimnis
werde mich um alles kümmern, sodass du vor sôsakan Sano sicher bist. Ruh dich jetzt aus, und überlass alles mir.«
Shigeru war so dankbar und erleichtert, dass Tränen in seinen Augen schimmerten. »Ich danke dir, Cousine. Was sollte ich nur ohne dich tun?«
Er drehte sich auf die Seite und kuschelte sich an sie. Fürstin Myiagi löschte die Lampe. Bald darauf schnarchte Shigeru leise, die Fürstin aber lag wach und schmiedete Pläne. Leutnant Kushida war der logische Hauptverdächtige, und Fürstin Miyagi rechnete damit, dass man ihn verurteilte. Aber völlig sicher konnte sie nicht sein. Gut, dass sie von Anfang an mit Problemen gerechnet und sich darauf vorbereitet hatte. Einmal hatte sie bereits gehandelt, um dafür zu sorgen, dass ihr und Shigeru nichts geschah. Jetzt musste sie weitere Schritte unternehmen, um ihren geliebten Gemahl zu schützen. Und ihre Ehe.
Und ihr Leben.
26.
A
ls es auf Mitternacht ging, löste der Nebel über dem banchô sich auf, dem Viertel im Westen des Palasts, wo die erblichen Gefolgsleute der Tokugawa wohnten. Zwischen den Wolkenlücken funkelten Sterne am schwarzen Himmel. Das Mondlicht verwandelte die Nebelschwaden in silbrigen Dunst, der das Labyrinth der verlassenen Straßen erhellte; doch in den dichten Bambushecken, die Hunderte von kleinen yashiki umgaben, wimmelte es von nächtlichem Leben. Ratten raschelten im feuchten Laub; streunende Hunde wühlten in Abfallhaufen; Grillen zirpten; doch der größte Teil der menschlichen Bewohner des Viertels schlummerte in den dunklen Häusern und Villen. Wachposten dösten in den Wärterhäuschen und verschliefen die Ereignislosigkeit und Langeweile einer ruhigen Schicht. Überall war es friedlich und still, nur nicht auf dem Anwesen der Kushidas: Fackeln brannten über dem Tor und an den Rändern der dichten Bambushecke. Soldaten der Tokugawa patrouillierten über das Gelände oder kauerten auf dem Strohdach des Hauptgebäudes, um eine Flucht des Leutnants zu verhindern, der noch immer unter Hausarrest stand.
In einem dunklen Lagerraum, der nun als Gefängniszelle diente, lag Leutnant Kushida schlafend auf seinem Futon. Die Alchimie der Träume trug ihn aus der behelfsmäßigen Zelle hinaus und versetzte ihn ins Innere Schloss. Über leere Gänge folgte der Leutnant dem Klang von Harumes Singstimme:
» Die grünen Schößlinge des Bambusses sprießen,
Und der Lotus entfaltet seine rosa Blüten,
Der Sommer ist ins Land gezogen …«
Erwartungsvolle Freude stieg in Kushida auf. Diesmal würde Harume seine Liebe erwidern! Sie würde die quälende Lust befriedigen, die in seinem Inneren wie Feuer brannte …
» Regen fällt auf die Dächer,
Ein Kuckuck ruft,
Komm zu mir, Geliebter …«
Kushida gelangte zur Tür von Harumes Gemach, öffnete – und sah die Konkubine tot am Boden liegen. Ihr nackter Körper und ihr langes Haar waren blutverschmiert, und auf der hellen Haut ihres rasierten Schambeins prangte die tödliche Tätowierung wie Tusche auf Elfenbein. Als Kushida die Tote voller Entsetzen anstarrte, schlug Harume plötzlich die Augen auf. Mit blutiger Hand winkte sie den Leutnant zu sich, wobei sie mit erstickter, krächzender Stimme sang:
» Komm zu mir, Geliebter! «
Kushida schreckte aus dem Schlaf und fuhr auf. Seine Brust hob und senkte sich so heftig, als wäre er gerannt. Sein Glied war steif von der ungestillten Begierde, die er beim Gedanken an Harume noch immer verspürte. Seit sie einander das erste Mal begegnet waren, waren die Träume des Leutnants von der schönen Konkubine erfüllt gewesen – Träume, die sich nach Harumes Tod in Albträume verwandelt hatten. Aber das hatte Kushidas Liebe und seiner Begierde keinen Abbruch getan. Und wie ein riesiger unterirdischer Strom, der unter gewaltigem Druck steht und nach einer Erdspalte sucht, durch die er ins Freie explodieren kann, schwoll in Kushidas Brust der Zorn auf die Frau, die ihn gedemütigt und sein Leben zerstört hatte.
Der Leutnant rappelte sich auf und verfluchte sich selbst, weil er sich dem Schlaf hingegeben hatte, dieser kurzzeitigen, trügerischen Flucht aus der bedrohlichen Wirklichkeit, sodass die Albträume ihn hatten heimsuchen können. Nun ging Kushida in der Kammer auf und ab, um seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Zuerst hatte er versucht, sich mit der Gelassenheit eines Samurai in seine Gefangenschaft zu fügen. Er hatte Stunden mit Meditation verbracht, hatte die Mahlzeiten zu sich genommen, die man ihm
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