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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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sensei Saigo verstoßen.
    Als Kushida seine Tat gestanden hatte, hatte Saigo ihm zusätzliche Waffenübungen befohlen und ihm Meditationen auferlegt. Anfangs hatte Kushida noch des Öfteren seiner Lust nachgegeben, bis er diese Schwäche schließlich besiegt hatte. Er hatte sich ganz dem Speerkampf hingegeben, dem naginatajutsu, sich meisterliches Geschick im Umgang mit dieser Waffe erworben und war enthaltsam geblieben. Selbst nachdem er seine Stelle als Wachoffizier im Inneren Schloss angetreten hatte und einer der wenigen Männer war, die Tokugawa Tsunayoshis wunderschöne Konkubinen zu Gesicht bekamen, hatte er Tage, Wochen, ja Monate verbringen können, ohne auch nur an Geschlechtsverkehr zu denken.
    Bis Harume in den Palast gekommen war.
    An dem Tag, als sie in Edo eintraf, hatte Kushida Wachdienst. Als Hofdame Chizuru den Leutnant und die neue Konkubine einander vorstellte, durchfuhr es Kushida wie der Blitz: Diese Frau mit dem hübschen Gesicht und der üppigen Figur sah genauso aus wie das Mädchen auf dem shunga, das Kushida einst in der Schreibstube seines Vaters entdeckt hatte. Lang unterdrückte Begierde keimte in ihm auf, und Kushidas sexuelle Sehnsüchte richteten sich auf Harume, die diese Leidenschaft entflammt hatte.
    Kushida hatte nur noch an das Mädchen gedacht, ohne die Gefahren wahrzunehmen. Was ist schon dabei, eine Frau anzuschauen?, hatte er sich gefragt, ohne sich einzugestehen, wie tief seine Gefühle für Harume tatsächlich waren. Sein ganzes Leben hatte sich geändert. Er gab die Waffenübungen auf. Er spionierte Harume nach, dachte an sie, wenn er sich selbst befriedigte, und träumte jede Nacht von ihr. Schmerzlich wurde ihm bewusst, wie einsam sein Leben war – das Leben eines Samurai, der sich einzig dem Bushido verschrieben hatte, dem Weg des Kriegers. Doch wahre Erfüllung, erkannte der Leutnant, fand man nur, wenn man sich mit einer Frau vereinte.
    Er nahm all seinen Mut zusammen und schrieb Harume Briefe, in denen er ihr seine Gefühle gestand. Als Harume diese Briefe nicht beachtete, ja, Kushida sogar aus dem Weg ging, redete er sich ein, dass die schöne Konkubine bloß schüchtern sei oder Angst habe. Doch er konnte ihr etwas Kostbares bieten: ein Herz, das niemals einer anderen Frau gehören würde, und einen Körper, der noch nie amouröse Abenteuer erlebt hatte. Konnte eine Frau ein solches Geschenk zurückweisen? Gewiss nicht! Also war Kushida schließlich vor Harume hingetreten und hatte ihr frei heraus seine Liebe gestanden. Doch die Konkubine hatte ihn abgewiesen. Noch immer schmerzten ihre Worte wie tiefe, brennende Schnittwunden, wenn Kushida daran dachte.
    »Warum stellt Ihr mir immer wieder nach? Als ich Eure dummen Briefe nicht beantwortet hatte, muss Euch doch klar gewesen sein, dass ich nichts mit Euch zu tun haben will!« Harumes hübsches Gesicht verzerrte sich vor Abscheu. »Offenbar seid Ihr so dumm, wie Ihr hässlich seid. Ihr wollt, dass ich mit Euch davonlaufe? Dass ich bei einem gemeinsamen Selbstmord aus Liebe mein Leben lasse, damit wir in Ewigkeit vereint sind?« Harume lachte. »Ihr seid es nicht einmal wert, dass Ihr dieselbe Luft atmet wie ich. Und jetzt verschwindet. Lasst mich in Ruhe. Ich will Euch nie mehr in meiner Nähe sehen!«
    Gedemütigt und zornentbrannt, hatte Kushida die Konkubine gepackt, sie geschüttelt und gedroht, sie zu töten, wie er es dem sôsakan-sama gegenüber ja auch gestanden hatte. Er hatte Harume den Arm auf den Rücken gedreht, hatte ihr die freie Hand auf den Mund gepresst, als sie nach Hilfe hatte schreien wollen, und sie in ein leeres Gemach gestoßen. Dort hatte er ihr den Kimono vom Leib gerissen und sie zu Boden gedrückt. Ja, er hatte sie umbringen wollen – aber zuvor hatte er sie haben wollen.
    Harume wehrte sich. Sie biss ihm in die Hand, worauf er seinen Griff löste, und rammte ihm ein Knie zwischen die Beine. Kushida krümmte sich vor Schmerz, unterdrückte mit Mühe einen Schrei und wich zurück. Harume lachte. Als wolle sie seine Qualen noch vergrößern, sagte sie: »Außerdem habe ich schon einen Liebhaber, dem ich für immer und ewig gehöre. Schon bald werde ich auf meinem Körper, den Ihr so sehr begehrt, eine Tätowierung tragen, die meine Liebe zu diesem Mann verkündet.« Nach diesen Worten flüchtete Harume aus dem Zimmer.
    Erst in den schrecklichen Tagen darauf wurde Kushida in vollem Umfang klar, was geschehen war. Er hatte alles fortgeworfen: seine Disziplin, seine Selbstachtung, seine Ehre

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