Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
auch auf Harumes geheimen Liebhaber? Jedenfalls fiel Sano ein Stein vom Herzen, dass Choyeis Aussage in keiner Weise auf Fürstin Keisho-in hindeutete.
    Auf der Straße waren rennende Schritte zu hören. Dann stürmte ein doshin mit zwei zivilen Helfern durch die Tür. Sano wiederholte rasch die dürftige Täterbeschreibung, die er von Choyei bekommen hatte; dann schilderte er den Männern mit knappen Worten das Aussehen Kushidas und Fürst Miyagis. »Es könnte einer der beiden gewesen sein, vielleicht aber auch jemand anders. Jedenfalls kann der Täter noch nicht weit sein. Macht Euch auf die Suche!« Die drei Männer eilten davon. Sano wandte sich wieder dem Sterbenden zu. »Choyei … Was könnt Ihr mir sonst noch sagen? Choyei?«
    Verzweiflung schlich sich in Sanos Stimme, als er spürte, wie der Körper des alten Mannes erschlaffte. In Choyeis Augen erlosch das Leben. Ein letztes leises Stöhnen kam über seine Lippen, gefolgt von einem Schwall Blut. Dann war Sanos einziger Zeuge tot.

28.
    D
    ie Villa, zu der Konkubine Ichiterus Brief Hirata geführt hatte, stand im Schatten von Weiden an einem Kanal unweit des Flusses im Stadtviertel Nihonbashi, wo die reichen Händler wohnten. Für gewöhnlich war Hirata stolz darauf, dass er sich hier so gut auskannte; schließlich hatte er jahrelang als Polizist in diesem Viertel gedient. Doch als er nun über eine Brücke und durch das Tor ging, das nach Nihonbashi hineinführte, erschien es ihm, als würde er in eine unbekannte Gegend vordringen. Wie eine edle Patina lagen Alter, Reife und Fülle über den alten, prachtvollen Gebäuden; Moos wuchs an hohen Steinwänden, und eine dünne grüne Schicht ließ das Kupferblech schimmern, mit dem die Dächer gedeckt waren. Dank der Nähe zum Wasser hatten die Villen in dieser Gegend viele Feuersbrünste überdauert und waren zu den ältesten Gebäuden in Edo geworden. Doch Hirata spürte, wie seine Zuversicht mit jedem Schritt schwand, der ihn dem Treffpunkt mit Ichiteru näher brachte.
    In einer Faust hielt Hirata wie einen Glücksbringer die Liste, auf der er jene Fragen notiert hatte, die er der Konkubine unbedingt stellen musste; in der Liste steckte zusammengefaltet der Brief, den Ichiteru ihm geschickt hatte. Hirata hatte Stunden mit dem Versuch verbracht, sich über die Bedeutung des letzten Satzes klar zu werden: »Ich freue mich jetzt schon ganz besonders, Euch wiederzusehen.« Als er nun zum letzten Mal seine Fragenliste auseinander faltete, sah er, dass die Tusche auf beiden Papieren vom Schweiß seiner Handflächen ineinander verlaufen war. Hirata seufzte. Ichiterus Vernehmung konnte über sein Schicksal – und das Sanos – entscheiden, doch trotz all seiner Überlegungen und Planungen hatte er das Gefühl, schlecht vorbereitet zu sein. Und er sehnte sich nach Ichiteru und wünschte zugleich, er hätte sich von einem Kollegen begleiten lassen oder an seiner Stelle jemand anderen geschickt.
    Hirata erreichte die Villa, in der Ichiteru ihn treffen wollte – ein Miniatur-Anwesen, das durch einen großen Garten von seinen Nachbarn getrennt war. Das Gebäude selbst machte den Eindruck, als würde es unter den weit ausladenden Fichtenästen, die beinahe das Dach verdeckten, auf der Lauer liegen. Es hatte die vielen Brände, die Edo heimsuchten, nicht unbeschadet überstanden: Rauch hatte die Mauern geschwärzt. Hirata gab sich einen Ruck und klopfte ans Tor.
    Ein junges Mädchen mit hübschem Gesicht öffnete ihm. Hirata erkannte Midori, die er fast vergessen hatte. »Hirata-san!«, rief sie erfreut. »Ich hatte gehofft, Euch wiederzusehen.« Sie nahm den Besucher beim Arm und zog ihn in ein dichtes Gestrüpp aus Gräsern und unbeschnittenen Sträuchern, die zu dieser Jahreszeit braun und kahl waren und wie tot wirkten. Ein mit Steinplatten ausgelegter Laubengang, der von Weinranken überwuchert war, führte zur Veranda. In ihrem mit roten Mohnblüten bedruckten Kimono wirkte Midori wie eine Blume in einem tristen Ödland. Sie kicherte vor Aufregung. »Was führt Euch hierher? Woher habt Ihr gewusst, wo Ihr mich finden könnt?«
    Ihr überschwänglicher Empfang schmeichelte Hirata und ließ ihn seine Unruhe fast vergessen. Um Midori nicht zu verletzen, indem er sie verbesserte und ihr den wahren Grund für sein Kommen nannte, erwiderte er: »Nun, wir Sonderermittler haben so unsere Möglichkeiten.«
    »Wirklich?« Midoris Augen wurden groß.
    »Ja, sicher. Stellt mich auf die Probe. Nur zu. Nennt mir ein Geheimnis,

Weitere Kostenlose Bücher