Das Geheimnis
Schweiß seine Kleidung tränkte. »Nun, äh …«, fragte er unbeholfen, »was habt Ihr mir mitzuteilen?«
»Aber, aber, Hirata-san.« Ichiteru warf ihm einen koketten Blick zu. »Es besteht kein Grund zur Eile. Oder seid Ihr sosehr darauf bedacht, wieder von hier zu entfliehen?« Sie verzog die vollen Lippen zu einem Schmollmund. »Mögt Ihr mich denn gar nicht?«
»Oh, nein. Ja, doch! Ich meine … ich mag Euch sehr.« Hirata spürte, wie ihm Hitze und Röte über Ohren und Hals krochen. Ichiterus Kimono, den sie nach der neuesten Mode schulterfrei trug, rutschte ein Stück tiefer und gab den Blick auf eine ihrer Brüste frei. »Darf ich Euch eine Erfrischung anbieten?« Sie griff nach dem Krug Sake, blickte ihren Besucher an und hob fragend die aufgemalten Brauen.
Üblicherweise trank Hirata nicht, wenn er im Dienst war; jetzt aber konnte er eine Schale Sake gebrauchen, um seine Nerven und seine noch immer zitternden Hände zu beruhigen. »Ja, bitte«, antwortete er.
Konkubine Ichiteru schenkte ihm vom Reisschnaps ein. Als sie ihm die Schale reichte, liebkosten ihre weichen, warmen Finger die seinen, und ihre Augen schienen ihn in unergründliche Tiefen zu ziehen. Nur mit äußerster Kraftanstrengung gelang es Hirata, den Blick von Ichiterus Gesicht loszureißen; dann leerte er die Schale in einem Zug. Der Reisschnaps besaß einen seltsamen, moschusartigen Beigeschmack, doch Hirata war viel zu dankbar für die entspannende Wirkung des Sake, als dass er dem Beachtung geschenkt hätte. Die Hände auf dem Schoß gefaltet, beobachtete Ichiteru ihn, wobei ein Lächeln ihre Lippen umspielte.
»Ich glaube, nun sind wir bereit«, sagte sie.
Sie beugte sich vor und strich mit den Fingerspitzen über Hiratas Wange. Die Berührung hinterließ eine Spur aus Hitze auf seiner Haut. Erregt und erschreckt zugleich zuckte Hirata zurück.
»Was … tut Ihr?«, stieß er hervor. Der vernunftbeherrschte Teil seines Geistes sagte ihm, dass Ichiteru ihn mit ihren Verführungskünsten von seinem Anliegen ablenken wollte. Aber das durfte er nicht geschehen lassen, mochte er diese Frau auch noch sosehr begehren! »In Eurem Brief steht, dass Ihr wichtige Informationen habt, was den Mord an Konkubine Harume betrifft. Und ich brauche Antworten auf die Fragen, denen Ihr im Puppentheater ausgewichen seid.« Hirata wünschte sich, er hätte seinen Vernehmungsplan nicht verloren, und versuchte, sich an die Fragen zu erinnern. »Wo seid Ihr gewesen, als aus dem Hinterhalt ein Dolch auf Harume geschleudert wurde? Wie habt Ihr wirklich über Harume gedacht?«
»Pssst …« Zärtlich fuhr Ichiteru ihm mit dem Zeigefinger über die Lippen.
»Hört auf damit«, versuchte Hirata sich zu wehren, doch mit einem Mal überkam ihn ein eigenartiges Gefühl. Seine Glieder wurden schwer, als wären sie mit Blei gefüllt, und sein Kopf schien vom Rest des Körpers getrennt zu sein. Seine Sinne waren dermaßen geschärft, wie er es noch nie empfunden hatte. Jede Pore schien sich zu öffnen, jeder Nerv schien zu vibrieren. Die verblassten Farben an den Wänden glühten; das Plätschern der Wellen des Kanals war wie das Donnern der Meeresbrandung, und Ichiterus Parfum füllte seine Lungen wie der Duft von Millionen Blumen. Hirata hörte den rasenden Schlag seines Herzens, das Rauschen seines Blutes, und sein Glied wurde so steif und groß wie nie zuvor.
Ichiteru half ihm auf die Beine und führte den Schwankenden zum Futon. »Nein …«, versuchte Hirata schwach, sich zu wehren. Trotz des Nebels, der seinen Geist umhüllte und ihm das Denken schwer machte, erinnerte er sich an die Worte des Polizeischreibers, der etwas von einer Droge gesagt hatte, die Trancezustände herbeiführte und die sexuelle Lust steigerte. Und mit einem Mal erinnerte er sich auch daran, dass Ichiteru keinen Schluck von dem Reisschnaps getrunken hatte. Sie musste das Mittel in den Sake gegeben haben.
Hatte sie die Droge von Choyei gekauft – zusammen mit dem Gift, mit dem Harume ermordet worden war?
»Lasst mich in Ruhe … bitte!« Hirata fürchtete um sein Leben; dennoch sandte Ichiterus bloße Nähe einen wohligen Schauder nach dem anderen durch seinen Körper, und ihre Berührungen brannten den letzten Rest von Vorsicht und Vernunft aus seinem Hirn. Hirata gab seine Gegenwehr auf, ließ sich auf den Futon fallen und richtete den verschleierten Blick zur kassettierten Decke, die mit einem Wellenmuster bemalt war, das vor seinen Augen zu wogen begann. Ichiteru stand über
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